Bericht zur Herbsttagung 2007 in Schmochtitz "Die zweisprachige Oberlausitz in multikonfessioneller Perspektive"

Vom 2. bis 3. November 2007 standen unterschiedliche Aspekte der oberlausitzischen Kirchengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart im Zentrum von Referaten und Diskussionen. Die Tagung, die in den Räumen des Sorbischen Museums auf der Ortenburg in Bautzen sowie dem Bischof-Benno-Haus Schmochtitz stattfand, wurde von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften (OLGdW) in Kooperation mit dem Sorbischen Institut in Bautzen durchgeführt. Über 100 Teilnehmer hatten sich eingefunden, was das außerordentliche Interesse an einem solchen Thema hinreichend verdeutlicht.

Das Konzept war wesentlich vom kürzlich verstorbenen Vizepräsidenten der Gesellschaft Dr. Matthias Herrmann (†) und dem Direktor des Sorbischen Instituts Herrn Prof. Dr. Dietrich Scholze erstellt worden. Im Vorfeld bot eine Führung durch die Ausstellung "Bautzens verschwundene Kirchen" im Archivverbund - Staatsfilialarchiv/ Stadtarchiv Bautzen eine gute Gelegenheit, sich auf das Symposium einzustimmen.

Bautzens Oberbürgermeister Christian Schramm erinnerte in seinem Grußwort an die kirchlichen Traditionen der Stadt und wies  auf die gegenwärtige konfessionelle Vielfalt hin, ehe der Präsident der OLGDW, Prof. Dr. Wolfgang Geierhos, und Prof. Dr. Dietrich Scholze die Tagung im Festsaal des Sorbischen Museums auf der Ortenburg eröffneten. Prof. Dr. Enno Bünz (Universität Leipzig) hielt den Abendvortrag. Zum Ausgangspunkt nahm E. Bünz die "Epistola de miseria …" eines anonymen Autors, die vermutlich im mitteldeutschen, näherhin im markmeißnischen Raum entstanden waren, und stellte eindrucksvoll Bezüge zum mittelalterlichen Alltag in der Oberlausitz her. Seine Reflexionen zu den "Neun Teufeln, die den Pfarrer quälen", gerieten so zur spannenden, aus heutiger Sicht mitunter kuriosen Spurensuche. Anschließend luden die Gastgeber zu einem kleinen Empfang, wo der Abend mit einer musikalischen Darbietung der Künstlerinnen Liana Bertok (Klavier) und Daniela Haase (Sopran) ausklang.

Am Morgen des 3. November erinnerte Grit Richter-Laugwitz, Leiterin des Archivverbundes und Mitglied des Präsidiums der OLGdW, an Dr. Matthias Herrmann, zuletzt Vizepräsident der OLGdW und Direktor des Lessing-Museums in Kamenz, in dessen Händen die Vorbereitungen der Tagungen bis zu seinem plötzlichen Tod am 2. Oktober 2007 gelegen hatten. G. Richter-Laugwitz würdigte M. Herrmann als maßgeblichen Ideengeber innerhalb des Präsidiums der OLGdW und Initiator zahlreicher Tagungen. Zugleich drückte sie die Hoffnung aus, dass die wissenschaftliche Arbeit im Sinne M. Herrmanns weitergeführt werde.

Den Referenten gelang es, einen facettenreichen Bogen der Oberlausitzer Kirchengeschichte zu spannen. Bischof Bruno von Porstendorf (1209/10-1228) wurde vorgestellt, der ein umfassendes Siedelwerk in Gang gesetzt hatte. Die Besonderheiten seiner Landesherrschaft lagen darin, dass er zwar gleichsam wie ein weltlicher Fürst agierte, auch wenn die spezifische Form eines "Kolonisationshofes" erkennbar wurde. Vorteile verschaffte er sich vor allem durch seine geistliche Oberhoheit. So zeichnet sich das Gebiet östlich der Pulsnitz durch eine auffallende Dichte von Sakralbauten aus; überdies richtete er Kollegiatkapitel ein, die als verlängerter Arm seiner Herrschaft fungierten.

Hermann Kinne (Universität Leipzig) betrachtete das Kollegiatstift St. Petri in Bautzen unter prosopographischen Kriterien und führte u. a. die überwiegend bürgerliche Herkunft der Bautzener Kanoniker ins Treffen. Er erwähnte die Schwierigkeiten beim Versuch der Zuordnung der Personen nach ethnischen Gesichtspunkten aufgrund der christlichen Taufnamen, die anders als die Rufnamen keine Identifizierung als Deutscher oder Sorbe zuließen. Hinweise auf volksgruppenbedingte oder sprachliche Konflikte innerhalb des Kollegiats fehlten bislang, wobei die integrierende und verbindende Kraft des Lateinischen im Sinne eines christlichen Universalismus eine Rolle gespielt haben wird.

Jan Zdichynec (Karlsuniversität Prag) gab einen Überblick zur Klostergeschichte der Lausitzen im Mittelalter aus böhmischer Sicht. Er konzentrierte sich auf die kontemplativen Orden und beschäftigte sich vorrangig mit den Zisterziensern, weil sie traditionsgemäß die stärksten Kontakte zu Böhmen pflegten und in rechtlicher Hinsicht eine wichtige Stütze des Landesherrn darstellten. J. Zdichynec wies auf das seit jeher ambivalente Verhältnis zwischen den Zisterzen und den Landesherren hin, wobei Letzterer in nachreformatorischer Zeit der Garant für das Überleben der Klöster in einem mehrheitlich protestantischen Umfeld wurde.

Pfarrer Jens Bulisch (Putzkau/Schmölln) sprach über die Schwierigkeiten bei der Einführung des evangelisch-lutherischen Kirchenwesens in der Oberlausitz und nannte diesen von Hemmnissen und Widersprüchen begleiteten Prozess eine "schleichende Reformation". J. Bulisch veranschaulichte die Entwicklung exemplarisch anhand von Belegen, die aus dem Grenzraum zwischen dem lutherischen Kursachsen und jenem Gebiet der Oberlausitz, das 1559 erbländisch und an das Amt Stolpen gegliedert worden war, stammen. Die starke Verzahnung von Landes- und Kollaturverhältnissen prägte die Umgestaltung des Kirchenwesens nach geistlich-obrigkeitlichen Interessen, aber durch fehlende Eindeutigkeit von Zugehörigkeit und mangelnde Zugriffsfähigkeit blieben altgläubige Praktiken teilweise bis zum Ende des 16. Jh. erhalten.

Gerhard Walter (Leipzig) ging auf die spätgotische Ausstattung der Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters von Kamenz ein, die schon mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen war. Die erhaltenen Retabel erweckten den Eindruck von Vollständigkeit, worüber vergessen werden könnte, dass der heutige Raumeindruck von regotisierenden Bestrebungen und denkmalpflegerischen Maßnahmen der beiden letzten Jahrhunderte herrührt.

Der sorbische Superintendent Jan Mahling (Bautzen) setzte sich in seinem kontrovers diskutierten Beitrag mit Entstehung, Baugeschichte und Funktion der Bautzener Kirchen St. Nikolai und St. Michael auseinander. Die Bezeichnung "Zwillingskirchen" sei aus mehreren Gründen gerechtfertigt. Die Verwandtschaft beider Gotteshäuser bestehe im nahezu identischen Grundriss, aber auch in der exponierten städtebaulichen Lage vor den Mauern der Stadt, die in Verbindung mit den Fortifikationen zu sehen sei, wo sie zur "moralischen Abschreckung" errichtet worden sein sollen. Ferner machte J. Mahling die Memorialfunktion und die zeitlich parallele Verwendung als Gemeindekirchen für die Sorben geltend.

Edmund Pech (Sorbisches Institut Bautzen) referierte über die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die zweisprachigen katholischen wie evangelisch-lutherischen Kirchgemeinden in der sächsischen bzw. preußischen Oberlausitz. Die NS-Politik richtete sich ab 1933 durch restriktive Maßnahmen - Versetzungen von Geistlichen, Pensionierungen, Verbot oder Einschränkung der Gottesdienste und des Religionsunterrichts - gezielt gegen die katholischen Sorben, weil diese in einem kompakten Territorium existierten, während das Gemeindeleben der Sorben evangelisch-lutherischer Konfession erst seit 1937 richtungweisenden Änderungen unterworfen wurde.

Susanne Hose (Sorbisches Institut) erläuterte anhand der Losungen das Sendungsbewusstsein der Herrnhuter Brüdergemeine. Im 18. Jh. gelang es dieser Glaubensgemeinschaft als konfessionelle Minderheit, ein effizientes System kommunikativer Praktiken zu installieren, indem sie auf moderne, populäre Medien setzte. Als wohlkonzipierte Mischung aus Bibelzitat und Meditationsangebot forderten die Losungen zum Dialog und gemäß pietistischen Auffassungen letztlich zum praktischen Handeln auf.

Sonja Wölke (Sorbisches Institut) äußerte in ihrem Vortrag zur Kirchenliedersammlung des Gregorius B., dass die "Handschrift des Gregorius B" eine Quelle der "gemeinsamen Wurzeln des obersorbischen Kirchenlieds beider christlicher Konfessionen" gewesen sein könnte. Bei der Handschrift handelt es sich möglicherweise um eine Reinschrift, die zum Druck vorbereitet werden sollte. Sie trägt eine Widmung an Georg Leisetritt, den päpstlich bestallten Administrator des kümmerlichen katholischen Rest nach voller Durchsetzung des Protestantismus.

Birgit Mitzscherlich, Ordinariat des Bistums Dresden-Meißen, referierte zu den östlich der Neiße gelegenen ehemaligen "(Stifts-)Pfarreien Grunau, Königshain, Reichenau und Seitendorf". Obwohl der meißnische Bischof nach 1945 keine Gelegenheit mehr hatte, die Gemeinden jenseits der Neiße zu visitieren, wurde erst per Anordnung vom 12.2.1973 eine Regulierung der Bistumsgrenzen vorgenommen, die auch den sich seit 1945 grundlegend gewandelten Verhältnissen Rechnung trug. Denn die Gemeinden jenseits der Neiße waren nach 1945 systematisch mit galizischen Polen besiedelt worden, die ihrerseits hinsichtlich Liturgie und Religiosität unter ostkirchlichem Einfluss standen. Nach Ausweisung der deutschen Bewohner 1945 mussten bis 1948 auch die letzten deutschen Pfarrer ihre angestammten Gemeinden verlassen, die ursprünglich zur Klosterherrschaft St. Marienthal gehört hatten.

Der ehemalige Pfarrer der Bautzener Domkirche Rudolf Kilank lieferte quasi eine Bilanz zu dem Thema "Katholische Sorben in der DDR". Nach dem Motto Goethes "Von der Geschichte solle keiner reden, der Geschichte nicht an sich erfahren habe" war es ein sehr persönlich gefärbter Bericht, der die zumeist sehr schwierige Situation, Sorbe und Katholik zu sein, plastisch schilderte. Immer dem Vorwurf ausgesetzt, man solle sich nicht in die Bildungspolitik der DDR einmischen, konzentrierte man sich auf das liturgische und katechetische Feld, indem man etwa liturgische und Gesangbücher in sorbischer Sprache herausgab. Damit ließen sich einige Erfolge verbuchen, beispielsweise wurde Sorbisch als eigene Liturgiesprache durch die römische Kurie anerkannt.