Symposium zur 650-Jahrfeier des Sechsstädtebundes der Oberlausitz am 15. Juni 1996

von Dr. Matthias Herrmann

Das Kamenzer Symposium zur Würdigung des 650. Jahrestages der Gründung des Sechsstädtebundes der Oberlausitz vereinte 32 Historiker, Archivare, Vertreter der Oberlausitzischen und der Niederlausitzer Gesellschaften der Wissenschaften und Geschichtsinteressierte aus ganz Sachsen im festlichen Saal des Kamenzer Rathauses. Trotz der vergleichsweise geringen Beteiligung - zahlreiche Historiker weilten bei einer zum gleichen Zeitpunkt in Dresden stattfindenden stadtgeschichtlichen Tagung - kann eine positive Bilanz für diese Gemeinschaftsveranstaltung des Vereins für Sächsische Landesgeschichte (Dresden) und des Kamenzer Geschichtsvereins gezogen werden.

Zur Begrüßung würdigte der Kamenzer Bürgermeister, L. Kunze, in knappen Worten das Wirken des Bundes und verwies insbesondere auf die Chancen, die durch seine moderne Wiederbelebung im Jahre 1991 für die Stadt, die Region und die internationalen Beziehungen in der Euroregion Neiße entstanden sind.

Seine auf die Gegenwart der Gastgeberstadt bezogenen Ausführungen en wurden im anschließenden Referat des Kamenzer Stadtarchivars, Dr. M. Herrmann, vertieft. Unter dem Thema "Kamenz im Sechsstädtebund" spannte er den Bogen zu lokalen und regionalen entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhängen, die zur Gründung des Sechsstädtebundes beitrugen. Ausführliche Betrachtungen galten insbesondere der Lokalpolitik des Kamenzer Stadtrates zwischen 1346 und 1547, d.h. einer Zeit, in welchem der Sechsstädtebund seine Wirksamkeit auf der Grundlage mittelalterlichen Rechtsgebahrens voll entfaltet hatte. Der in direktem Verhältnis zur Reformation stehende Pönfall im Jahre 1547 beendete diesen Zeitraum höchster Blüte und führte zu einem funktionalen Wandel des Bundes. Als besonders kritisch wurde der gegenwärtige Forschungsstand zum Sechsstädtebund hervorgehoben und das Fehlen einer modernen, wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Darstellung bedauert.

Anschließend berichtete Herr M. Knobloch (Panschwitz-Kuckau) über die Bestrebungen der Stadträte und der Kirchenoberen zur Selbständigkeit des oberlausitzischen Kirchenwesens im 16. und 17. Jahrhundert. Besondere Bedeutung wurde den in den Städten vorliegenden Kirchenordnungen beigemessen. Anhand der Analyse von Einzelfällen gelang es dem Referenten, grundsätzliche Vorstellungen der Sechsstädte herauszuarbeiten sowie Problemfelder aufzuzeigen, die nach 1635 zwischen oberlausitzischer und sächsischer Kirchenentwicklung ent- und bestanden. Aufschlussreich und hervorzuheben ist die direkte Bezugnahme von K. auf das Weltbild des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Menschen, ohne dessen Berücksichtigung eine Darstellung der kirchlichen und religiösen Bestrebungen nicht möglich wäre. Das rege Zitieren von Originalquellen zu markanten Einzelbeispielen war nicht nur für den Fachmann interessant und amüsant, sondern es belegte beeindruckend den Ernst, mit dem lange Jahre um die geistliche wie weltliche Unabhängigkeit der Oberlausitz gerungen wurde.

Als Höhepunkt der Veranstaltung ist das Referat von Frau Dr. Bobkova (Prag) anzusehen, die den aktuellen tschechischen Forschungsstand zur Rolle des Sechsstädtebundes in der Landes- und Reichspolitik Karls IV. darlegte. Durch die Verknüpfung bestimmter urkundlich belegter Entwicklungen gelang ihr der Nachweis, dass zwischen dem regionalen Städtebund sowie der Reichs- und Hausmachtpolitik Karls IV., d.h. des deutschen Kaisers und böhmischen Königs, mehr als nur zeitliche Nähe bestand. Sie setzte damit Maßstäbe für die internationale Forschung zum Bund.

Ein nochmaliges Nachvollziehen der von ihr aufgezeigten Zusammenhänge und die darauf bezogene Betrachtung der kommunalen Entwicklung für jede der Sechsstädte erscheinen ebenso zweckmäßig wie notwendig. Wenngleich hypothetisch, so ist anzunehmen, dass die den Kommunen zu einem bestimmten Zeitpunkt übertragenen Privilegien nicht von ungefähr dargereicht wurden, sondern das städtische Aufstiegsstreben ebenso bedienten wie landesherrliche und reichspolitische Zielsetzungen. Der Nachweis für jede einzelne Sechsstadt muss noch erbracht werden. Stadtgeschichtlich dürften bei dem Herantragen neuartiger Fragestellungen auch interessante Hintergründe offenbar werden, die den noch immer stark dominierenden Erkenntnisstand des ausgehenden 19. Jahrhunderts weit übersteigen: das reiche Potential städtischer Urkunden und Folianten verbirgt noch eine Fülle verborgener Informationen.

Allen drei Referenten gemeinsam war der eindringliche Hinweis auf die erheblichen Defizite in der Erforschung des Sechsstädtebundes der Oberlausitz und der einzelnen Städte bzw. Orte. Vielfach dienen noch heute Darstellungen des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - stellvertretend seien die Werke Köhlers, Seetigers und Arras' genannt - als Grundlage der Forschung. Und tatsächlich sind sie in weiten Teilen unübertroffen. Aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg darf auf Beiträge von Blaschke, Czok und Engel verwiesen werden, die jedoch weniger kommunalgeschichtlich als vielmehr übergreifend zu bewerten sind, denn eine Geschichtsschreibung zur kommunalen Basis wurde in den vergangenen Jahrzehnten kaum partiell betrieben. Und dennoch sind gerade auf diesem Gebiet wichtige Grundlagen für eine Regional- oder Landesgeschichte zu suchen! Zahlreiche Einzelaspekte sind bisher nicht oder nur nebensächlich beleuchtet worden. Beispielhaft sei auf das Zusammenwirken der Räte, auf die gegenseitige Beeinflussung der Handwerke und Innungen der Sechsstädte und die Auswirkungen des Magdeburger Rechts auf das Justizwesen des Sechsstädtebundes und der Sechsstädte hingewiesen. Offensichtlich ist, dass die vorhandenen Lücken nur durch ein gründliches und originäres Quellenstudium geschlossen werden können. Ein anregendes Handwerkszeug hierfür bietet im übrigen das im August 1996 von den Archivaren der Sechsstädte im Entwurf vorgelegte gemeinsame Inventar.

Cover

Zu der Tagung erschien 1998 ein Protokollband als Kamenzer Beiträge, Heft 1.