Bericht zur Herbststagung vom 20. und 22. November 2015 in Schloss Krobnitz

Jan Bergmann, Dresden

Die Herbsttagung der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften im Jahr 2015 fand in Kooperation mit dem Verein für sächsische Landesgeschichte vom 20. bis 22. November auf Schloss Krobnitz bei Reichenbach statt. Das diesjährige Tagungsthema war durch ein Jubiläumsereignis bestimmt, dass für ganz Sachsen, insbesondere aber auch für die Oberlausitz von großer historischer Bedeutung ist. Vor zwei Jahrhunderten, im Jahr 1815, teilten in Wien die Großmächte Österreich, Russland, Preußen, Vereinigtes Königreich und Frankreich das postnapoleonische Europa neu auf. Da der erste Sächsische König Friedrich August I. (1750–1827) zuvor lange Zeit ein Anhänger und Günstling Napoleons gewesen war, wurde Sachsen als Verlierer der Napoleonischen bzw. Koalitionskriege behandelt.

Preußen hegte schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Ambitionen zur Einverleibung Sachsens und wollte nun die Gelegenheit des Wiener Kongresses nutzen, um dieses alte Vorhaben in die Tat umzusetzen. Dies löste langwierige Verhandlungen mit den anderen europäischen Mächten aus. Allen voran Österreich, das bereits 1742 Schlesien an Preußen verloren hatte, hatte ein großes Interesse am Fortbestehen zumindest eines sächsischen Reststaates. Nur so konnte eine direkte Grenzlinie zwischen dem habsburgischen Böhmen und Preußen entlang des Erzgebirgskammes vermieden werden. Auch etwa das Vereinigte Königreich befürchtete mit der vollständigen Annexion Sachsens durch Preußen einen zu großen Machtzuwachs für die Hohenzollernmonarchie und damit ein Ungleichgewicht der europäischen Kräfte.

Im Ergebnis der Wiener Verhandlungen verständigte man sich schließlich u. a. auf erhebliche Gebietsabtretungen Sachsens an Preußen bei Beibehaltung eines Königreichs Sachsen in entsprechend verringerter Größe. Die Folge war die Teilung des sächsischen Staatsgebiets. Auch quer durch die Oberlausitz wurde eine neue Grenze, weitgehend ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Strukturen, gezogen. Der gesamte nordöstliche Teil wurde Preußen angegliedert, während der südwestliche Landesteil bei Sachsen verblieb.

Die für die Oberlausitz so folgenreiche und noch bis in die Gegenwart mancherorts spürbare Teilung hatte große Auswirkungen auf Politik, Verwaltung und Kultur. An einem Ort wie Krobnitz, nur wenige Kilometer von der ehemaligen sächsisch-preußischen Grenze entfernt, wird dies in architektonischer Form sichtbar. Das Schloss, das in seinem Kern noch auf ein barockes Herrenhaus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zurückgeht, wurde 1873 durch den ehemaligen preußischen Kriegs- und Marineminister und kurzzeitigen preußischen Ministerpräsidenten Graf Albrecht von Roon (1803–1879) im neoklassizistischen Stil als Altersruhesitz ausgebaut. Als optisches Vorbild gilt das Preußische Kriegsministerium in Berlin – die einstige Wirkungsstätte Roons. Heute dient die vor wenigen Jahren umfassend restaurierte Anlage – Schloss, Alte Schmiede und Park – als Museum und Veranstaltungsort.

Dieses herrschaftliche Ambiente bildete nun den Rahmen für die diesjährige Herbsttagung mit dem Titel „Sachsen und der Wiener Kongress 1815 – Grenzziehungen und Identitäten.“ Als Tagungsraum diente das bereits vielfach bei solchen Anlässen bewehrte Dachgeschoss der sogenannten Alten Schmiede.

Am Freitagabend eröffnete Dr. Matthias Donath die Reihe der Fachvorträge mit einer umfangreichen Vorstellung der neuesten Forschungsergebnisse zu der Fragestellung, unter welchen Kriterien die Aufteilung Sachsens im Jahr 1815 vorgenommen worden war. Es wurde aufgezeigt, dass nicht ausschließlich militärstrategische Bemühungen Preußens ausschlaggebend waren, sondern den Gebietsverschiebungen vielmehr demografische und fiskalische Berechnungen zugrunde lagen. Zudem waren diese Zuordnungen das Ergebnis langwieriger Aushandlungsprozesse, bei denen mehrere Varianten diskutiert wurden. Die unterschiedlich verhandelten Gebiete wurden nun erstmals in moderner kartografischer Form sichtbar gemacht und von Donath präsentiert. Im Anschluss an den Vortrag lud der Präsident Dr. Steffen Menzel die 25 anwesenden Tagungsteilnehmer des Abends zu einem kleinen Empfang.

Der Tagungssamstag, der von gut fünfzig Gästen besucht worden war, begann am Morgen mit einem ausführlichen Einführungsvortrag von Prof. Dr. Winfried Müller über die ereignisreichen Stationen sächsisch-preußischer Geschichte, von der Reformationszeit bis zum Vorband des Wiener Kongresses. Er zeigte dabei das wechselnde Kräfteverhältnis der beiden Kurfürstentümer und späteren Königreiche auf, das die Vorbedingungen für die Ereignisse des Jahres 1815 schuf.

Im Anschluss gab Sven Brajer einen atmosphärischen Einblick in das öffentliche Leben in Görlitz während und nach der Preußischwerdung. Es wurde in der Stadt preußischen Garnison eingerichtet und es kam zu einem Umbau der städtischen Verwaltung, verbunden mit der Verschiebung ehemals sächsischer Beamter in andere Kommunen und der Einsetzung preußischer Beamter, was letztlich auch eine Ablösung der frühneuzeitlichen Stadtverfassung bewirkte. Anhand des ersten Oberbürgermeisters Gottlob Ludwig Demiani (1786–1846) zeigte Brajer aber auch auf, wie es zunehmend zu einem guten Zusammenwirken städtischer und staatlicher Eliten und der Integration der ehemals sächsischen Bevölkerung in den preußischen Staat sowie zu wesentlichen Weichenstellungen in der Frühindustrialisierung kam.

Nach einer kurzen Kaffeepause sprach Dr. Konstantin Hermann über die Loyalitätskonflikte innerhalb der sächsischen Bevölkerung vor dem Hintergrund einer heraufziehenden Annexion sächsischer Gebiete durch Preußen im Jahr 1815. Demnach war eine Aufspaltung der Gesellschaft in Preußenfreunde, mithin Befürworter, und Preußengegner durch alle sozialen Schichten zu beobachten. Der preußische Staat untersuchte die Einstellung der sächsischen Bevölkerung genau. Die Lausitzen, so konstatierte Hermann, müssen für den fraglichen Zeitraum mehrheitlich als sachsenfreundlich und auch königstreu eingestuft werden. Die Gründe dafür lagen vermutlich in der relativen Sicherheit der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Lausitzer Markgraftümer unter sächsischer Hoheit. Doch auch hier gab es Befürworter eines Anschlusses an Preußen, so z.B. unter den Vertretern von Handel und Gewerbe. Es wurde aber auch deutlich, dass die Oberlausitz für Preußen wohl nie explizit, sondern nur als Teil Sachsens interessant war.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen bot der als Präsident der OlGdW aber auch als Geschäftsführer des Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbundes zweifache Gastgeber Dr. Steffen Menzel eine Führung durch das Schloss Krobnitz an. Gezeigt wird hier unter anderem eine Ausstellung zum Leben und Wirken des einstigen Hausherrn Graf Albrecht von Roon. Ein gemeinsamer Spaziergang in den Schlosspark von Krobnitz führte die Tagungsteilnehmer anschließend zur Familiengruft der Roons.

Die Vortragssektion des Nachmittags eröffnete Dr. Jens Bulisch mit einem anschaulichen Einblick in das Verhältnis des langjährigen französischen Außenministers Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754–1838) zur sogenannten Sächsischen Frage. Großes Augenmerk legte der Referent dabei auf die biografischen Stationen des berühmten Diplomaten der Sattelzeit. Auch seine Spuren in der Oberlausitz wurden dabei aufgedeckt. So stand er beispielsweise in engem Kontakt zur Gräfin Auguste Charlotte von Kielsmannsegg (1777–1863), die u. a. auf dem Rittergut Schmochtitz bei Bautzen ihren Wohnsitz hatte und als glühende Anhängerin Napoleons galt. Auch Talleyrand nahm auf dem Wiener Kongress Einfluss auf die Teilung Sachsens. Eine Teilung der Oberlausitz lehnte er jedoch ab.

Dr. Lutz Vogel setzte mit seinem Vortrag „Zerstörte Pfähle, zerrissene Dörfer und geistliche Loyalitätskonflikte. Alltag und Grenzziehung 1815 in der Oberlausitz“ die Beschreibung der Ereignisse in der Oberlausitz im Nachgang des Wiener Kongresses fort. Er beschrieb insbesondere die lokalen unmittelbaren Auswirkungen der Grenzziehung quer durch das Markgraftum. Da diese in sehr vielen Fällen ohne Rücksicht auf gewachsene lokale Strukturen erfolgt war, führte dies zu erheblichen Beschwernissen für die Landbevölkerung, etwa durch nun zerschnittenes Grundeigentum, geteilte Kirchspiele, unterbrochene Infrastruktur und beschnittene Netzwerke in Gesellschaft und Handel. Der Widerstand der betroffenen Bevölkerung fiel in Anbetracht dessen aber vergleichsweise subtil aus, z.B. durch die Beschädigung von Grenzpfählen. Erst allmählich konnten in den folgenden Jahrzehnten einzelne lokale Sonderregelungen für die Grenzregion die eine oder andere Situation ein wenig entschärfen.

Nach einer weiteren Kaffeepause am Nachmittag folgte der letzte Vortrag des Tagungssamstags. Der Leipziger Vermessungsingenieur Frank Reichert gab einen anschaulichen Überblick über die technischen Aspekte der Grenzziehung durch die Oberlausitz in den Jahren 1815 und 1816. Zunächst widmete er sich der Frage, welche Kartenwerke zunächst den Verhandlungspartnern während des Wiener Kongresses bei der Teilung Sachsens zur Verfügung gestanden hatten. Im Anschluss wies er auf die Bedeutung der im Zuge der Vermessungen von 1815/16 entstandenen Grenzbandkarten der gemeinsamen Grenzenkommission als zentralen Quellenbestand der Oberlausitzer Teilung hin. In ihnen sind sehr detailliert der präzise Verlauf der Grenze sowie die genauen Standorte der stets nebeneinander platzierten sächsischen und preußischen Grenzsteine festgehalten.

An der fast dreistündigen Exkursion am Sonntag, die die Tagung beschloss, haben fünfzehn Personen teilgenommen. Manfred Steinmann, der in jahrelanger Feldforschung jeden der sächsisch-preußischen Grenzsteine aufgesucht und selbst die verschollenen Exemplare wiedergefunden hat, gab eine Führung zu ausgewählten Steinen in der näheren Umgebung des Tagungsortes. Von Borda bei Reichenbach ging es entlang der einstigen sächsisch-preußischen Grenze bis nach Gebelzig. Herr Steinmann engagiert sich seit Jahren für den Erhalt und die Restaurierung der Grenzsteine.