Bericht zur Herbsttagung "Sorben und Deutsche: Heimat Lausitz – Fremde Lausitz" am 14. und 15. November 2014 in Bautzen

Friedrich Pollack, Leipzig

Am 14. und 15. November 2014 luden die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften und das Sorbische Institut Bautzen zu einer internationalen Tagung mit dem Thema „Sorben und Deutsche: Heimat Lausitz – Fremde Lausitz“. Die Veranstaltung stieß auf großes Interesse, mehr als 70 Gäste wurden an beiden Tagen im Festsaal des Sorbischen Museums auf der alten Bautzener Ortenburg gezählt. Eröffnet wurde die Tagung am Freitagnachmittag gemeinsam durch Dr. Steffen Menzel, Präsident der OLGdW, und Prof. Dr. Dietrich Scholze, Direktor des SI. In seiner anschließenden Einführung skizzierte Dr. Lars-Arne Dannenberg die vielfältigen Dimensionen, die das allgemeine Verständnis von der „Heimat Lausitz“ in den vergangenen Jahrhunderten beeinflusst haben, und wies zugleich auf die Herausforderungen hin, die sich aus dem häufig diffusen Gebrauch des Heimatbegriffes in der deutsch-sorbischen Lausitz für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Phänomen ergeben.

Damit war das Podium für die insgesamt 17 Referentinnen und Referenten der Tagung eröffnet. Eingangs fasste Dr. Thomas Westphalen in einem weit angelegten Überblick zusammen, wie sich die früh- und hochmittelalterliche Geschichte Sachsens und der Lausitzen aus Sicht der Archäologie beschreiben lässt. Auf breiter empirischer Basis illustrierte er den Ablauf der Besiedlung des heutigen Freistaates Sachsen mit besonderer Berücksichtigung der Abfolge und Verteilung von slawischen und deutschen Bevölkerungen. Darauf folgend wurde das Referat des leider verhinderten Prof. Dr. Walter Wenzel verlesen, das sich dem altslawischen Landesausbau in der Oberlausitz im Spiegel namenkundlicher Befunde widmete. Wenzel stellte namentlich in den sogenannten Altsiedellandschaften um Bautzen und Görlitz eine Häufung altsorbischer Orts- und Gewässernamen fest, die er als Zeugnisse der in den Quellen genannten Milzane und Besunzane identifizierte. Einen zeitlichen Sprung in das späte 17. Jahrhundert unternahm sodann Dr. Lupold von Lehsten, der den Fund einer Sammlung von Leichenpredigten des Muskauer Pfarrers Martin Francisci zum Anlass nahm, über das Zusammenleben von Sorben und Deutschen in der alten Muskauer Standesherrschaft zu referieren. Anschließend sprachen Prof. Dr. Tomasz Jaworski und Dr. Hanna Kurowska über Bevölkerungsbewegungen in der östlichen Lausitz am Ende des Zweiten Weltkrieges, wobei sie die erzwungenen Migrationen deutscher, polnischer als auch sorbischer Familien in ihren demographischen Folgen beleuchteten.

Nach einer kurzen Pause richteten sich sowohl der Oberbürgermeister der Stadt Bautzen Christian Schramm wie auch der Vorsitzende der Domowina David Statnik in kurzen Grußworten an die Teilnehmer der Tagung. Beide unterstrichen dabei die aktuelle Relevanz des Tagungsthemas und wiesen besonders auf die Ambivalenzen der jüngeren „Heimat-Renaissance“ hin, die sich nicht nur in einer wachsenden Heimatverbundenheit sondern auch in teils scharfen Konflikten um die Unterbringung Asylsuchender sowie tätlichen Übergriffen auf sorbische Jugendliche widerspiegeln. In ihrem Abendvortrag skizzierte Prof. Dr. Beate Mitzscherlich Heimat als einen komplexen Gegenstand empirischer Kultur- und Sozialforschungen. Nach einer orientierenden Einführung in das begriffs- und diskursgeschichtliche Dickicht unseres heutigen Heimatverständnisses entwickelte sie aus sozialpsychologischer Sicht einen prozessualen Heimatbegriff, der im Sinne von „Beheimatung“ einen notwendigen, sich permanent vollziehenden Prozess der Identitätsstiftung im lebensweltlichen Kontext beschreibt. Befragungen unter Jugendlichen haben gezeigt, dass der Region gegenüber dem Staat oder Europa dabei nach wie vor eine herausgehobene Bedeutung zukommt. Bei einem kleinen Empfang im Foyer des Sorbischen Museums bot sich Besuchern und Referenten schließlich die Gelegenheit zum angeregten Austausch.

Den zweiten Tag der Konferenz leitete Dr. Jens Baumann mit einem Referat über Minderheiten und ihren Beitrag für die regionale Entwicklung und Identität ein. Baumann fokussierte vor allem die gegenwärtige Situation ethnischer und sprachlicher Minderheiten in Deutschland, blickte in vergleichender Absicht jedoch auch über die Landesgrenzen hinaus in andere europäische Staaten und schloss mit dem wichtigen Fazit, dass Minderheitenförderung kein Luxus für bessere Zeiten sondern praktizierte Regionalförderung sei. In einer weiteren Sektion widmeten sich sodann zwei Vorträge ausschnitthaft der Rolle von Kirche und Glauben im Prozess der Beheimatung und Identitätsbildung. Dr. Jens Bulisch warf einen kritischen Blick auf die Entwicklung der Lutherrezeption in der sorbischen Publizistik und Wissenschaft des 20. Jahrhunderts, die auch von weltanschaulichen Kontroversen geprägt war, deren Spuren bis heute sichtbar sind. Lubina Malinkowa beschrieb die Entwicklung und Ausbreitung pietistischer Erweckungsbewegungen in der Oberlausitz. Insbesondere der intensiven Laienarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine unter der einfachen sorbischen Bevölkerung beschied sie ein hohes emanzipatorisches Potential.

Die weiteren Vorträge des Tages lenkten den Blick wieder verstärkt auf neuzeitliche und gegenwärtige Entwicklungen in der „Heimat Lausitz“. Prof. Dr. Dietrich Scholze reflektierte zusammenfassend die sozialen und ökonomischen Bedingungen sowie den Verlauf der beschleunigten Assimilation der Lausitzer Sorben im 19. und 20. Jahrhundert. Dr. Edmund Pech fragte sodann nach der Rolle, die der lokalen sorbischen Tradition bei der Errichtung des Gaskombinats Schwarze Pumpe sowie des zugehörigen Wohnbezirks Hoyerswerda-Neustadt in den Jahren nach 1955 beigemessen wurde. Er konnte zeigen, dass die anfangs formulierten, weitreichenden Pläne zur Schaffung eines neuen geistig-kulturellen Zentrums der sorbischen Lausitz bald Sparmaßnahmen zum Opfer fielen, die den Aufbau der Neustadt von Beginn an begleiteten. Vom anderen Ende des Zeitstrahls blickte anschließend Robert Lorenz auf das Hoyerswerdaer Großprojekt. Binnen eines Menschenalters sei hier für Zehntausende zunächst eine neue Heimat errichtet und schließlich wieder eingerissen worden. Diese Ambivalenz von Heimatgewinn und Heimatverlust ziehe sich, vor dem Hintergrund der industriellen Ausbeutung der Lausitzer Braunkohlevorkommen, als kollektive Erfahrung wie ein roter Faden durch die Geschichte dieser Region. In seinem Vortrag knüpfte auch Dr. Martin Walde an diese Überlegungen an und skizzierte das Heimatbild der Postmoderne als leeren Raum zwischen Altem und Neuem, dem er ein anzustrebendes Gemeindemodell einer Heimat als Raum von Nähe und lokaler Bezugnahme auf den Anderen entgegenstellte.

Die Nachmittagssektion wurde von Prof. Dr. Leoš Šatava eingeleitet, der in seinem Referat auf das Spannungsverhältnis zwischen primordialen und postmodernen Identitätskonzepten in den nationalen Diskursen der Sorben hinwies. Obwohl sich in der Lausitz heutzutage ein zunehmend voluntaristischer Begriff von ethnischer Zugehörigkeit durchgesetzt habe, bleibe die Bedeutung der Sprache, als essentiell verstandenem Kern sorbischer Identität, nach wie vor groß. Dieses Motiv griff anschließend auch Trudla Malinkowa auf, die über die ältesten sorbischen Inschriften im öffentlichen Raum referierte. Ausgehend von der evangelischen Oberlausitz verbreiteten sich solche Inschriften ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert bald im gesamten sorbischen Sprachgebiet, was die Referentin als Demonstration sorbischen Selbstbewusstseins interpretierte. Anschließend sprach Dr. Maria Mirtschin über Formen der Inszenierung von Heimat und Nation in der sorbischen Kunst. In einem weiten historischen Bogen ging sie dabei auf werk- und rezeptionsgeschichtliche Aspekte im Schaffen Hendrich Božidar Wjelas, William Krauses, Měrćin Nowak-Njechorńskis, Jan Buks sowie Maja Nagelowas ein und zeigte auf, wie diese bedeutenden sorbischen Künstler ihre „Heimat Lausitz“ im Wandel der Zeit imaginierten: vom antimodernden Idyll und Fluchtort zur politischen Fantasie bis hin zur neu geschaffenen, vielstimmig-uneindeutigen Wirklichkeit einer künstlerisch überwundenen Nationalerzählung. Abgerundet wurde dieser äußerst dichte Vortragsreigen von einem anregenden Referat Prof. Dr. Walter Koschmals. Ausgehend von der Betrachtung einer bislang kaum bekannten Polemik zwischen den beiden Publizisten und Literaten Jan Skala und Johannes Urzidil aus den 1920er Jahren über das Verhältnis von Slawen und Deutschen, entwickelte Koschmal die These, dass der moderne sorbische Heimatdiskurs seine produktivsten Anregungen häufig aus der sorbischen Lyrik empfing und noch gegenwärtig aus ihr zu empfangen vermag: In der lyrischen „Absage an das geschlossene Haus“, wie sie in den Werken Jurij Chěžkas, Kito Lorenc‘ und Róža Domašcynas zu entdecken sei, stecke ein erhebliches Potential für die Definition eines zeitgemäßen, integrativen Heimatbegriffes, der die bewusst in der Schwebe gehaltene Ambivalenz „sorbisch-deutsch“ als Wesenskern in sich trage.

Im Anschluss an die Tagung bot sich allen Teilnehmern die Gelegenheit zur Besichtigung des Sorbischen Museums.