Bericht zur Frühjahrstagung am 22. April 2017 in Görlitz

von Jan Bergmann-Ahlswede

Für ihre traditionelle Frühjahrstagung hatte sich die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften in diesem Jahr mit der Stiftung Mitteldeutscher Kulturrat zusammengetan. Der Mitteldeutsche Kulturrat wurde 1955 als Verein (seit 1976 Stiftung) in Westdeutschland gegründet, um in länderübergreifender Zusammenarbeit „die mitteldeutschen Beiträge zur deutschen Kultur“ zu pflegen, wie es in der Satzung der Stiftung heißt. Seit der Deutschen Wiedervereinigung veranstaltet der Kulturrat Tagungen und Vorträge in den Neuen Bundesländern und gibt darüber hinaus auch das „Mitteldeutsche Jahrbuch für Kultur und Geschichte“ heraus. Die Moderation hatte in gewohnter pointierter Form der Vizepräsident der OLGdW, Dr. Lars-Arne Dannenberg, übernommen, wodurch der Vortragsmarathon kurzweilig verlief.

Nach einleitenden Grußworten des Präsidenten der OLGdW, des Präsidenten des Mitteldeutschen Kulturrates und Vertretern der Stadt Görlitz hielt Präsident Dr. Steffen Menzel die Laudatio auf den diesjährigen Träger des Hermann-Knothe-Preises, Christoph Hanzig. Hanzig hatte eine Arbeit zur Geschichte des Euthanasieprogrammes für Kinder und Jugendliche in Großschweidnitz zur Zeit des nationalsozialistischen Dritten Reiches als Preisschrift eingereicht und gewonnen. Der Autor setzte sich in seiner Darstellung und ebenso in seinem Festvortrag eindrücklich mit der fatalen Situation der als „nicht arbeitsfähig“ bezeichneten Heimbewohner in den Oberlausitzer Heimen von Großhennersdorf und Großschweidnitz auseinander. Nach der Schließung der Großhennersdorfer Einrichtung im September 1940 wurden die Kinder und Jugendlichen nach Großschweidnitz zur weiteren Unterbringung oder aber direkt nach Pirna-Sonnenstein verbracht, wo sie durch Vergasung ermordet wurden. Aber auch in Großschweidnitz fanden Tötungen statt. Mit Hilfe von Medikamenten sollten die Kinder ruhiggestellt werden, was fürderhin zur gesundheitlichen Beeinträchtigung und schließlich auch zum frühzeitigen Versterben führte. Aber auch eine menschenunwürdige Unterbringung in Kälte und bei sehr schlechter Nahrungsversorgung führte zum Tod vieler Heimbewohner. Nach der Schließung der Kinderabteilung in Leipzig-Dösen und der Verlegung nach Großschweidnitz stieg die Zahl der vorgeblich an Lungenentzündung verstorbenen Kinder und Jugendlichen gegen Ende 1943 rapide an. Den Höhepunkt erreichten die Tötungen im Februar 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Ziel der Heimleitung und der verantwortlichen Ärzte war es vermutlich, das Heim zu leeren, da das Ende des Krieges abzusehen war. Der verantwortliche Arzt Dr. Mittag, gegen den nach Kriegsende Ermittlungen eingeleitet worden waren, beging Suizid.

Nach dem Festvortrag des Hermann-Knothe-Preisträgers folgte nun schon zum dritten Mal auch die Verleihung des Jacob-Böhme-Preises der Internationalen Jacob-Böhme-Gesellschaft e. V. Die Bewerber waren dieses Mal aufgefordert, eine Arbeit zum Thema „Jacob Böhmes ‚Reformation der Reformation‘ und sein Verhältnis zu Martin Luther“ einzureichen. Den Preis erhielt Martin Renghart für eine sprachwissenschaftliche Arbeit, in der er Böhmes Rezeption von sprachlichen Bildern Martin Luthers untersuchte.

Im Anschluss an diese beiden Preisverleihungen folgten verschiedene Buchvorstellungen. Der Mitteldeutsche Kulturrat stellte seine bereits traditionsreiche Publikationsreihe „Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte“ vor. Besonders hervorgehoben wurde der Band 24 (2017) mit dem Reformationszeitalter und der Kulturlandschaft Oberlausitz als Themenschwerpunkten. Tino Fröde stellte mit dem „Biographischen Lexikon der Mitglieder der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1779–1945“ das 528-seitige Ergebnis seiner mehrjährigen akribischen und verdienstvollen Recherchearbeit zu nicht weniger als 2.040 Persönlichkeiten vor. Das Lexikon kann schon jetzt als Standardwerk für die Geschichte der Wissenschaftslandschaft Oberlausitz angesehen werden. Dr. Steffen Menzel präsentierte im Anschluss das von ihm und dem Namenforscher Prof. Dr. Walter Wenzel verfasste Buch „Sorbische Personennamen der östlichen Oberlausitz“, das eine lange bestehende namenkundliche Lücke schließt. Im Rahmen der Forschungen zu diesem Werk waren für den Zeitraum von 1305 bis 1750 allein 455 Personennamen ermittelt worden, die der Forschung bis dato unbekannt waren. Herkunftsnamen von Personen geben darüber hinaus Auskunft über die frühe Geschichte zahlreicher Ortschaften in der Region. So konnten auch zahlreiche Ortsersterwähnungen deutlich vordatiert werden. Dr. Constanze Herrmann stellte ihr Buch „Das Physikalische Kabinett zu Görlitz“ vor. Dabei handelt es sich um einen Abdruck ihrer Dissertationsschrift. Der mit ca. 500 Abbildungen reich illustrierte Band enthält auch einen umfassenden Katalog der ca. 300 noch vorhandenen Elektrisiermaschinen und anderen Versuchsgeräten aus der Sammlung des Privatgelehrten Adolf Traugott von Gersdorff (1744–1807), die einst ca. 650 Objekte umfasste.

Nach einer kurzen Kaffeepause folgte der Vortragsblock. Den Aufschlag machte Dr. Rudolf Bentzinger mit seinem Beitrag „Jakob Böhme im Gang der Geschichte der deutschen Sprache und der Sprachphilosophie“. Böhme sah die menschliche Einfalt als wesentliche Voraussetzung für das Christuserleben an. Und da, der Lutherischen Tradition folgend, die Muttersprache als die Sprache der Einfältigen galt, verstand Böhme das Deutsche als heilige Sprache. Dr. Michael Ludscheidt schloss an diesen Vortrag mit seiner Darstellung der Biografie des schlesischen Juristen und Literaten Georg Schöbel von Rosenfeld (1640–1680) an. Schöbel hatte zahlreiche Studienreisen durch Südeuropa unternommen, war 1640 mit dem Namen „Der Himmlischgesinnte“ Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft geworden und gilt als spiritus rector der schlesischen Literatur seiner Zeit. In seiner Heimatstadt Breslau hatte er darüber hinaus verschiedene öffentliche Ämter inne, u. a. unterstanden ihm die Bibliotheken der Stadt. Der 1670 in den Adelsstand erhobene Gelehrte musste schließlich jedoch Schlesien verlassen und lebte zuletzt in Magdeburg. Über den Güterbesitz des berühmten kursächsischen und königlich polnischen Premierministers Heinrich Graf von Brühl (1700–1763) in Kursachsen und vor allem in der Oberlausitz berichtete die Kunsthistorikerin Ivonne Makowski und wies damit auf ein augenfälliges Desiderat in der Landesgeschichtsforschung hin. Brühl besaß in der Region umfangreichen Grundbesitz. Das verzerrte Bild von Brühl, das die Geschichtswissenschaft nur mühsam zu überwinden vermag, hatte aber auch Einfluss auf seine Sichtweise als Rittergutsbesitzer. Wie erste sondierende Forschungen der vergangenen Jahre zeigten, bedarf diese aber zukünftig einer Neubewertung. Anja Moschke, Leiterin des Staatsfilialarchives Bautzen, stellte im Anschluss die Geschichte des Landständischen Lehrerseminars in der Oberlausitz vor, das vor 200 Jahren auf dem Bautzener Burglehn eröffnet wurde und zu dem sich einschlägige Bestände im Bautzener Archiv erhalten haben. Das Lehrerseminar hatte eine lange Vorgeschichte. Nachdem das Oberlausitzer Schulwesen nach dem Siebenjährigen Krieg brach gelegen hatte, entspann sich auf den Bautzener Landtagen eine langwierige Debatte zwischen Städten und Landständen um die Finanzierung und Organisation einer solchen Anstalt. Letztlich schieden die Städte, die einst die Debatte angestoßen hatten, aus dem Vorhaben aus und die Schulstiftung wurde auf die Landsteuerkasse übertragen. 1817 konnte endlich die Einrichtung eröffnet werden. Einen Ein- und Überblick in ihre Forschungen gab auch Barbara Mazurek. Sie referierte über Dorfschullehrer in Kursachsen und der Oberlausitz vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand u.a. die Einbettung des Dorfschulwesens in die lokalen Kirchgemeinde- und grundherrlichen Strukturen. Der Vergleich mit den kursächsischen Verhältnissen zeigt, dass die Dorfschullehrer in der Oberlausitz einem größeren sozialen Druck ausgesetzt waren. Das letzte Referat des Tages hielt Katarzyna Zinnow über die Provenienzforschung zur NS-Raubkunst in den Görlitzer Sammlungen. Da man im Zweiten Weltkrieg einen Großteil der Sammlung des Museums auf Schlösser und Herrenhäuser im Görlitzer Vorland östlich der Neiße auslagerte, um das Kulturgut eigentlich vor Luftangriffen auf die Stadt zu schützen, gingen ca. 80 Prozent der Bestände als Kriegsverluste verloren. Heute gelten nach aktuellem Stand der Untersuchungen zehn Exponate in den Görlitzer Sammlung als im Verdacht stehend, NS-Raubkunst zu sein. Sie stehen im Zusammenhang mit Erwerbungen von einer Anzahl Kunsthändlern, die z. T. in Raubkunstgeschäfte während der NS-Zeit involviert waren. Jedoch wird auch von einer Dunkelziffer unbekannter Große ausgegangen, da viele Sammlungsstücke im Tausch erworben worden waren und somit ihre Provenienz heute nur noch schwer zu ermitteln ist. Zum Abschluss der Herkunftsrecherchen, die seit 2016 laufen, sollen die Ergebnisse in die Internetdatenbank Lost Art eingepflegt werden.