Die zweite Hälfte des Samstagvormittages war den Vorträgen von Mitgliedern unserer Gesellschaft vorbehalten. Dr. Christian Speer (Halle/Saale) stellte das Forschungsprojekt "Index Librorum Civitatum". Verzeichnis der Stadtbücher des Mittelalters und der frühen Neuzeit" vor, das an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angesiedelt ist und seit 1. April 2011 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt wird. Ab dem 13. Jahrhundert wurden Stadtbücher als Kodizes von den städtischen Beamten aus Verwaltungsgründen geführt und enthielten rechtlich verbindliche Anordnungen. Sie bilden ein wichtiges Instrument historischer Grundlagenforschung, erlauben sie doch aufschlussreiche Einblicke in das urbane Leben während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Bereits zu DDR-Zeiten hatte die wissenschaftliche Erfassung der Stadtbücher begonnen, war später aber zum Erliegen gekommen. Das Index-Projekt knüpfe daran an und verfolge das Ziel, mögliche alle Stadtbücher auf dem Gebiet der neuen Bundesländer nachzuweisen und zu dokumentieren. Gegenwärtig verzeichne die Datenbank Stadtbücher für 446 Städte einschließlich Bestandsaufnahme. Mittels Grafiken wies C. Speer auf das Gefälle in der Verteilung von Stadtbüchern innerhalb des Untersuchungsgebietes hin: Während Sachsen die höchste Dichte zeige, gefolgt von Sachsen-Anhalt und Thüringen, sinke sie in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern deutlich, am niedrigsten falle sie in Berlin aus. Welch unterschiedliches Aussehen die Stadtbücher hinsichtlich Einbandgestaltung, materieller Ausstattung und Stärke des jeweiligen Bandes haben können, veranschaulichte C. Speer durch Abbildungen heimischer Beispiele, darunter einige eindrucksvolle aus dem Kamenzer Ratsarchiv. (Weiterführende Informationen zum Index-Projekt finden sich im Internet unter www.stadtbuecher.de)
Daran anschließend folgte ein Vortrag Tino Frödes (Olbersdorf) über die Mitgliederentwicklung in der OLGdW seit ihrer Gründung bis zur vorläufigen Auflösung im Mai 1945. Da der Referent krankheitshalber nicht anwesend sein konnte, wurde der Vortrag von Dr. Steffen Menzel verlesen. Zum ersten Mal, so T. Fröde, sei von ihm der Versuch unternommen worden, durch systematische Auswertung von Unterlagen aus dem erhaltenen Archiv der Gesellschaft, darunter Mitgliederverzeichnissen und Karteizetteln, statistische Aussagen über Mitgliederzahlen, Altersdurchschnitt, Dauer der Mitgliedschaft sowie das beruflich-akademische Umfeld dieser Personen zu gewinnen. Für den genannten Zeitraum seien insgesamt 2091 Mitglieder eruiert worden, wobei Phasen starker Zuwächse - etwa nach den napoleonischen Kriegen bis in die 1840er-Jahre oder später zur Jahrhundertwende bzw. nach dem Ersten Weltkrieg - mit Abschnitten der Stagnation und des Rückganges wechselten. Bei anfänglich 49 Mitgliedern im Gründungsjahr erreichte die Zahl 1924 mit 278 ihren Höchststand, um bei der Liquidierung der OLGdW ca. 138 zu betragen. Beruflich gehörten sie überwiegend den gebildeten Schichten an, insbesondere Lehrer und Geistliche, aber auch Vertreter aus dem Verwaltungs- und Rechtswesen seien ihr beigetreten. Unter den Mitgliedern aus Adelskreisen konnte T. Fröde vornehmlich die Familien von Gersdorff, von Wiedebach-Nostitz und von Salza nachweisen. Abgerundet wurde der Überblick mit exemplarisch herausgegriffenen Kurzbiografien zu einigen bemerkenswerten Persönlichkeiten und Gelehrten, die zugleich das weite Betätigungsfeld und die vielfältigen Interessengebiete der Genannten erahnen ließen, wie Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (1777-1856), Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, Ernst Gütschow (1869-1946) als Generaldirektor der Dresdner Zigarettenfabrik Jasmatzi und Besitzer von Burg Tzschocha/Czocha oder der Berliner Verleger Alfred Richard Meyer (1882-1956).
Unter dem Titel "Willkürliche Kategorien oder wissenschaftliche Systematik" würdigte Uwe Hornig (Oppach) zum 100. Geburtstag von Willi Hennig (1913-1976) die wissenschaftliche Tätigkeit dieses aus der Oberlausitz stammenden Biologen und Insektenforschers. Als Spezialist für Zweiflügler erwarb er Verdienste als Mitarbeiter am Deutschen Entomologischen Institut in Berlin-Friedrichshagen sowie als Bediensteter des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart. Mit seinem 1950 erschienen Buch „Grundzüge einer Theorie der phylogenetischen Systematik“ revolutionierte er die Systematik in der Biologie und kann in eine Reihe mit Carl von Linné gestellt werden. U. Hornig berichtete auch von den inzwischen erfolgreichen Bemühungen der Gemeinde Oppach, die dortige Grundschule nach Willi Hennig zu benennen, um die Erinnerung an diesen Naturwissenschaftler in seiner Heimat aufrechtzuerhalten.
Zuletzt präsentierte Dr. Lars-Arne Dannenberg (Königsbrück) die von ihm edierten "Annalen der Stadt Kamenz" des Caspar Haberkorn, die als nunmehr schon siebter Band der wiederbegründeten Reihe "Scriptores rerum Lusaticarum" vorgelegt werden konnten. Das gemeinhin als "Haberkornsche Chronik" bekannte Geschichtswerk stellt für Kamenz das wohl wichtigste Zeugnis zur Stadtgeschichte im Mittelalter und der Frühen Neuzeit dar. Beginnend mit der Gründung von Kamenz im Jahre 1200 setzte sich der Schulrektor und Ratsherr Caspar Haberkorn (ca. 1550-1618) Neujahr 1589 an die Aufzeichnungen, die er bis 1593 vornimmt, ehe sie abrupt abbrechen. Um einen Eindruck von der Diktion, vor allem jedoch der Vielfalt des thematischen Spektrums zu geben, trug L.-A. Dannenberg besonders aussagekräftige Passagen aus der Chronik vor. Berichte von Ehebruch und Unkeuschheit, die vor Gericht kamen und auf dem Schafott endeten, aber auch von kurios-tragischen Unglücksfällen, wie dem tödlichen Sturz vom morschen Blumenbrett am Fenster, gewähren Einblicke in damals herrschende Sitten und Moralvorstellungen sowie das alltägliche Leben einer Kleinstadt.
Am Nachmittag fand traditionell die Mitgliederversammlung, mit dem Rechenschaftsbericht statt. Da nach vier Jahren Amtszeit turnusgemäß die Wahl eines neuen Präsidiums anstand, war ein Bericht über die geleistete Arbeit angebracht. Es war eine äußert erfolgreiche Amtszeit. Vieles wurde auf den Weg gebracht: u. a. eine neue Homepage erstellt, die beständig aktualisiert und erweitert wird und von den Aktivitäten der Gesellschaft berichtet. Es wurden spannende und außerordentlich gut besuchte Tagungen organisiert; zahlreiche Publikationen wurden vorgelegt und sogar die Reihe "Scriptores rerum Lusaticarum" konnte mit mittlerweile zwei Bänden wiederbelebt werden. So wurden Dr. Steffen Menzel als Präsident, Dr. Lars-Arne Dannenberg als Vizepräsident, Matthias Wenzel als Sekretär wiedergewählt. Da Tino Fröde nicht zur Wiederwahl antrat, wurde Dr.-Ing. Volker Dähn zum neuen Schatzmeister gewählt. Für die drei ausstehenden Beisitzerposten hatten mit Prof. Winfried Müller, Dr. Uwe Koch, Dr. Christian Speer sowie Kai Wenzel vier Anwärter kandidiert, wodurch eine geheime Wahl notwendig wurde. Gewählt wurden schließlich Prof. Winfried Müller mit 48 Stimmen, Dr. Uwe Koch mit 49 Stimmen, Kai Wenzel mit 50 Stimmen, während Dr. Christian Speer 14 Stimmen erhielt.