Bericht zur Herbsttagung vom 3. bis 4. November 2017 in Ebersbach-Neugersdorf

von Sven Brajer und Dr. Steffen Menzel

Am 3. und 4. November 2017 lud die OLGdW zu ihrer Herbsttagung unter dem Thema „Industrialisierung und Industriekultur in der Oberlausitz“ ein. Zum ersten Mal wurde dabei in Ebersbach-Neugersdorf direkt im Herzen der südlichen Oberlausitz getagt. Die um 1770 erbaute „Alte Mangel“, ein nach1782 zum Faktorenhaus umgestalteter Fachwerkbau, lieferte den inspirierenden Rahmen für diese Veranstaltung. Mehr als 50 Gäste waren der Einladung gefolgt.

Eröffnet wurde die Tagung am Freitagnachmittag mit einem herzlichen Grußwort der Bürgermeisterin Verena Hergenröder. Sie gab einen intensiven Einblick in die Geschichte der Doppel-Gemeinde und umriss die problematische Entwicklung unmittelbar nach 1990, als in großem Stil mit dem Wegbrechen vornehmlich der Textilindustrie erhebliche demographische Verwerfungen einhergingen. Inzwischen habe sich jedoch die Wirtschaft in vielen Bereichen erholt und den Bevölkerungsschwund beendet. Ein vielfältiges Vereinsleben in der Stadt zeuge vom erstarkten bürgerschaftlichen Engagement. Sie gab ihrer Freude Ausdruck, dass sich die Oberlausitzische Gesellschaft die denkmalgerecht sanierte „Alte Mangel“ als Tagungsort gewählt habe.

Präsidiumsmitglied Kai Wenzel, welcher den leider erkrankten Vizepräsidenten Dr. Lars-Arne Dannenberg vertrat, moderierte den Eröffnungsabend souverän. Den Auftakt der Vorträge übernahm Dr. Steffen Menzel, Präsident der OLGdW und seit vielen Jahren mit Fragen der Oberlausitzer Wirtschaftsgeschichte beschäftigt. In seiner Einführung skizzierte er die vielfältigen Dimensionen, welche die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Oberlausitz zwischen 1800 und 1850 formten. Besonders der Übergang der Oberlausitz von einer durch kleine und mittlere Städte, Landadelige, Heimweber und Handwerker dominierten kleinteiligen Feudalgesellschaft um 1800 hin zu einer frühindustriellen Landschaft, geprägt durch Textildörfer mit ersten Fabriken im Süden, der Glasherstellung in den Kreisen Rothenburg und Görlitz, der serienmäßigen Tuchproduktion in Görlitz oder der Eisenhütten der nördlichen Oberlausitz standen dabei im Fokus. Im zweiten Abendvortrag analysierte Dr. Arnold Klaffenböck das bis heute vielfach aufgelegte Buch „Der Büttnerbauer“ von 1895 des wohl bekanntesten Oberlausitzer Schriftstellers Wilhelm von Polenz (1861–1903) und die damit verbundenen „Innensichten des Gesellschaftswandels“. Im Stile eines akribischen Germanisten vollzog der Vortragende einen Par-Force-Ritt durch das Werk des gebürtigen Obercunnersdorfer Autoren, der die schwierige Situation des Bauernstandes seiner Zeit, aber auch antisemitische Tendenzen, von denen Polenz nicht frei war, aufzeigte. Parabelhaft heruntergebrochen auf das Schicksal des Einzelnen, verbinden sich im „Büttnerbauern“ Furcht und Hoffnung dieses Epochenwandels und lassen die gewaltigen Umwälzungen dieses Zeitalters aufscheinen. Zum Abschluss des Abends lud ein rustikales Buffet in den urigen Nebenzimmern der „Alten Mangel“ Vortragende und Gäste zum Verweilen und gegenseitigen Gedankenaustausch ein.

Am Samstag, dem zweiten Veranstaltungstag, eröffnete Dr. Andreas Bednarek den Zuhörern, welche Bedeutung der Eisenbahn bei der Entwicklung der Oberlausitzer Städte im 19. Jahrhundert zukam. In seinem Vortrag standen vor allem der Bau der Strecken Dresden–Görlitz 1844–1847 sowie Dresden–Zittau bzw. Reichenberg 1874–1879 im Fokus. Nicht nur, dass Orte entlang der Bahnlinien innerhalb kurzer Zeit einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung nahmen, auch städtebaulich prägten Einrichtungen der Bahn das Erscheinungsbild der modernen Stadt in zunehmendem Maße. An Beispielen aus Görlitz und Breslau führte er aus, wie sich neue Stadtviertel planerisch an der Lage der Bahnhöfe orientierten. In einem weit angelegten Überblick zeigte Dr. Michael Schäfer die industrielle Transformation des Oberlausitzer Textilgewerbes im 19. Jahrhundert auf. Dabei stand besonders die Damastweberei in Großschönau, die dort seit 1834 angewandte Jaquardtechnik sowie die Aufstellung von Frottierwebstühlen 1856 im Mittelpunkt seiner Ausführungen. Er betonte allerdings auch, dass weiterführende Erkenntnisse zu Absatz und Export Oberlausitzer Textilwaren nur gewonnen werden können, wenn überregionale Forschungen angestrebt werden. Besonders erwähnte er die Warenströme in die Kolonien nach Übersee oder in die USA.

Nach einer kurzen Pause gab Dr. Michael Schäfer das Redezepter an seine Dresdner Kollegen Dr. Swen Steinberg und Sven Brajer weiter. Swen Steinberg trug dabei seine Forschungsergebnisse aus dem Dresdner Sonderforschungsbereich 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“ vor. Im Zentrum seines Vortrages „Friedensblatt und Menschenwohl - Antworten auf die Soziale Frage in der sozialpolitischen und christlichen Publizistik“ stand dabei das Schaffen des Ebersbacher Fabrikanten Karl Gabriel August Freude (1800–1879). Ganz im Sinne des Titels zeichnete sich Freude, neben der perspektivreichen Beschäftigung mit vielen wirtschaftlichen Themen seiner Zeit, durch eine humane Behandlung seiner Arbeiter aus und förderte deren Bildung mit der Gründung der ersten städtischen öffentlichen Bibliothek in Ebersbach.

Sven Brajer nutzte sein „Heimspiel“ und gab einen Überblick über die Arbeiterbewegung der Oberlausitz im Kaiserreich. Neben der Gründung erster Arbeitervereine und dem Wirken des sozialdemokratischen Politikers August Bebel (1840–1913) in der südlichen Oberlausitz um 1900, ging er weiterhin auf die 1898 erstmals verlegte öffentlichkeitswirksame Arbeiterzeitung „Der Arme Teufel aus der Oberlausitz“ aus Zittau ein.

Anschließend gab Lucia Henke einen Überblick über „Die Wirtschaftsethik der Firma Dürninger aus Herrnhut zwischen 1850 und 1918“. Dabei betonte sie den christlichen Unternehmergeist, der nicht um jeden Preis Gewinn anstrebte, die Firma aber auch nicht vor negativen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen schützen konnte. Anhand detailreicher Pläne und Ansichten der Baulichkeiten machte sie außerdem die rasante Firmenentwicklung in Herrnhut sehr anschaulich. Auch betonte sie, dass es weiterer Untersuchungen bedarf, alle Facetten dieser Betriebsgeschichte auszubreiten. Einen anderen Standpunkt zum Geschäftsgebaren vermittelte der Vortrag „Adliges Unternehmertum in Zeiten der Industrialisierung.

Die Standesherrschaft Muskau als Beispiel“ von Wolfgang Koschke aus Weißwasser. Dem Vortragenden gelang es, anhand ausgewählter Branchen das industrielle Wachstum der größten Standesherrschaft der Oberlausitz aufzuzeigen. Da Landwirtschaft in der Muskauer Heide aufgrund geringer Bodenwertzahlen kaum Gewinn versprach, verlegten sich die Besitzer auf die Schaffung industrieller Kerne unter Ausnutzung der vorhandenen Bodenschätze. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zur Gründung und zum Ausbau einer keramischen Industrie, der Eisenverhüttung und der Papier- und Glasfabrikation. Die reichen Vorkommen an Holz und Braunkohle wurden durch eine private Werksbahn kostengünstig erschlossen. Durch geschicktes Wirtschaften glich die Standesherrschaft nach 1900 einem Großkonzern.

In der folgenden Mittagspause fand sich ausgiebig Gelegenheit zum thematischen Austausch und zur Reflektion des bisher gehörten. Nach der Pause kam es zu einem Standortwechsel. Arnd Matthes, Geschäftsführer der Stiftung Umgebindehaus e. V. und Sven Brajer luden zur Besichtigung des Stammhauses der 1834 gegründeten Neugersdorfer Firma C. G. Hoffmann auf die Thälmannstraße. Im Autokonvoi gelangten alle Teilnehmer zu dem bereits 1809 errichteten Gebäude. Sven Brajer führte die Teilnehmer im Erdgeschoss durch die von ihm und dem Dresdner Museumsdesigner Matthias Runge gestaltete Ausstellung zu Leben und Wirken der Unternehmerfamilie Hoffmann, während Arnd Matthes durch die oberen Räume des Hauses im Art-Deco-Stil navigierte. Anschließend ging es wieder zurück nach Ebersbach. Hier stellte Arnd Matthes in einem bilderreichen Referat die Bemühungen vor, die Umgebindelandschaft auf die Liste des Weltkulturerbes zu bekommen. Weiterhin gab er einen Einblick in seine tägliche Arbeit und präsentierte die schönsten und ältesten Gebäude dieser Bauart. Sein Vortrag bildete den gelungenen Ausklang der Herbsttagung unserer Gesellschaft, indem er nochmals direkten Bezug zum eingangs erwähnter Tagungsort nahm. Der Vortrag von Claudia Muntschick zum Thema „Kreativwirtschaft und Industriekultur“ musste aus organisatorischen Gründen leider ausfallen.