Bericht zur Herbsttagung 2008 in Bautzen "Lausitzer Archivlandschaften"

Aus Anlass der Gründung des Staatsfilialarchivs Bautzen vor 75 Jahren stand die Herbsttagung der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften (OLGdW) ganz im Zeichen des (Ober-)Lausitzer Archivwesens. Das facettenreiche Programm des  dreitägigen Symposiums stieß auf reges Interesse und sorgte für hohe Teilnehmerzahlen bei allen Veranstaltungen. Die prächtige Aula des Friedrich-Schiller-Gymnasiums bot günstige Voraussetzungen für die Tagung und eine angenehme Atmosphäre. Die musikalische Gestaltung des Eröffnungsabends am 7. November lag in den Händen von Domkantor Friedemann Böhme, der Passagen aus der Sonate II in c-Moll von Felix Mendelsohn-Bartholdy sowie Variationen über ein altes sorbisches Volkslied von Jan Paul Nagel auf der Sauer-Orgel spielte.

In ihren Grußworten bezogen sich Grit Richter Laugwitz, Leiterin des Archivverbunds Stadtarchiv/Staatsfilialarchiv Bautzen, Dietrich Göckelmann, Abteilungsleiter im Sächsischen Staatsministerium des Innern in Vertretung des Innenministers Dr. Albrecht Buttolo, und Prof. Dr. Wolfgang Geierhos, Präsident der OLGdW, auf den Jubilar, das Staatsfilialarchiv Bautzen, das nach wechselvoller Geschichte heute eine weithin anerkannte und für die Forschung unverzichtbare Institution darstellt. Bautzens Oberbürgermeister Christian Schramm nannte das Sammeln, Bewahren und Ordnen als Aufgaben archivarischer Arbeit, um das kulturelle Gedächtnis einer Stadt, einer Landschaft oder des Staates zu bewahren. Die Archivalien seien ein Sublimat, niedergeschlagene menschliche Erfahrung verschiedener Art, festgehaltenes und gespeichertes Lebensgut, das befragt werden könne. Ständig wachsende Besucherzahlen im Staatsfilialarchiv Bautzen würden bestätigen, dass die Arbeit der Archive, das Wissen der Archivare für die Gesellschaft wichtig ist. Im Anschluss an die Grußworte schalteten Marko Schiemann, MdL, Dr. Jürgen-Rainer Wolf, Dietrich Göckelmann sowie Grit Richter-Laugwitz und Anja Moschke gemeinsam die Onlinepräsentation der Beständeübersicht des Staatsfilialarchivs Bautzen auf der Homepage des Sächsischen Staatsarchivs frei.

Prof. Dr. Winfried Müller (TU Dresden) rief in seinem Festvortrag die regionale Vielfalt der Oberlausitz während der Frühen Neuzeit in Erinnerung, eine Vielfalt, die sich nicht zuletzt in der Überlieferung der Archive widerspiegle. Dahinter stecke die Erfahrung der Vielheit und der Vervielfältigung, die durch bestimmte Entwicklungsprozesse wie Expansion oder Handelsverbindungen ausgelöst worden seien. W. Müller wies auf die Bedeutung der "Via regia" hin, lange Zeit die wirtschaftliche Lebensader der Oberlausitz in Ost-West-Richtung, die  regen Austausch und internationale Beziehungen ermöglichte. Mannigfaltigkeit für die Oberlausitz sah Prof. Müller insbesondere auch in religiöser, ethnischer und verfassungsgeografischer Hinsicht gegeben, ohne allerdings den grundsätzlichen Konflikt zwischen Pluralisierung und Normierung  außer Acht zu lassen. Die Vielfalt in der Oberlausitz sei zum Teil eine unfreiwillige gewesen, verursacht etwa durch den Pönfall oder die habsburgische Politik in Böhmen nach der Schlacht am Weißen Berg.  Durch die im Traditionsrezess festgeschriebenen Religionsverhältnisse und die Bewahrung ständischer Privilegien habe die Oberlausitz bis zur Homogenisierung seit dem 19. Jahrhundert viele Besonderheiten und eine regionale Eigenständigkeit bewahren können. W. Müller bezeichnete die Oberlausitz der Frühen Neuzeit metaphorisch als eine mannigfaltige Brückenlandschaft, die in der Lage gewesen sei, Gegensätze um des inneren Friedens willen auszugleichen.

Die Vorträge am 8. November widmeten sich ganz dem Archivwesens und beschäftigten sich zunächst mit mehreren Bautzener Einrichtungen. Grit Richter-Laugwitz (Archivverbund Bautzen) skizzierte den Werdegang des Staatlichen Zweigarchivs für die Oberlausitz zum jetzigen Staatsfilialarchiv Bautzen. Die Idee, ähnlich wie in Bayern oder Preußen auch in Sachsen Zweigarchive einzurichten, um das 1834 gegründete Hauptstaatsarchiv in Dresden zu entlasten, stammte von dessen Direktor Hans Beschorner. Im April 1932 forderte er die Schaffung von Nebenarchiven in den wichtigen historischen Landschaften Sachsens, darunter auch für die Oberlausitz. Mit der Fusion der Kreishauptmannschaften Dresden und Bautzen am 1. Juli 1932 und der drohenden Verlegung des Bautzener Behördenarchivs in die Landeshauptstadt wurde die Archivfrage virulent. Ungeachtet der unterschiedlichen Vorstellungen kam ein tragfähiger Kompromiss zustande. Dennoch war die dauerhafte Existenz des Archivs in Bautzen zunächst ungewiss. Während die Aufgabenbereiche und Bestände nach 1945 durch Gewinnung einstiger Gutsarchive oder von Akten aus Altregistraturen der früheren staatlichen Behörden auf dem Gebiet der Oberlausitz wuchsen, verschlechterten sich die baulichen und Arbeitsbedingungen auf der Ortenburg zusehends. Erst nach 2001 verbesserte sich die Situation nachhaltig. Die Gründung des Archivverbunds Bautzen durch die Vereinigung des Stadtarchivs mit der hiesigen Außenstelle des Staatsarchivs sowie der Bezug moderner Räumlichkeiten in den adaptierten Gebäuden Schloßstraße 10-14 brachten eine glückliche Lösung.

Bezug nehmend auf ihre Vorrednerin schnitt Anja Moschke (Archivverbund Bautzen) ein Stück Oberlausitzer Justiz- und Verwaltungsgeschichte nach 1835 anhand von Vorakten aus den Beständen des Staatsfilialarchivs Bautzen an. Vorakten sind Registraturgut in Form von Sammelbeständen von abgebenden Behörden bzw. deren Vorgängern. Jede aufgelöste Registratur übergab ihre Akten an die Nachfolgeinstitution, bis sie schließlich vom zuständigen Archiv übernommen und zusammengefasst wurden. Am Beispiel des Gutsarchivs von Baruth schlüsselte A. Moschke diesen komplizierten Vorgang auf. In den 1960er Jahren ging das Historische Staatsarchiv Bautzen dazu über, auf Basis der Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätze der Staatlichen Archivverwaltung seine Pertinenzbestände neu zu bearbeiten. Seither werden die Urprovenienzen der Archivalien ermittelt und dementsprechend  neue Bestände gebildet, die zuvor aus älteren herauszulösen sind. Die Gliederung der Bestände im Staatsfilialarchiv Bautzen orientiert sich dabei an jener des Sächsischen Staatsarchivs, in dessen Tektonik sie sich einfügt. In der Struktur soll die Überlieferungsgeschichte sichtbar bleiben, etwa die preußische Behördenüberlieferung der Oberlausitz nach 1815, wo bei der Einordnung sächsische und preußische Bestände gebildet werden. Als Beispiel für das Sichtbarmachen von Beständen, die bislang innerhalb von Bestandsübersichten verschwunden waren, stellte A. Moschke die 2005 begonnene Neuverzeichnung der Amtsgerichtsbestände nach deren Provenienz vor.

Dr. Birgit Mitzscherlich (Diözesanarchiv Bautzen) referierte über das Bautzener Domstift und sein Archiv. Seit Beginn der Aktenlegung im 16. Jh. bewahrt es rund 1200 Urkunden auf, die Rechtsangelegenheiten, Zehnt und Zinsabgaben betreffen, die älteste stammt aus dem Jahr 1221. Dank geringer Verluste durch Brände und Kriege hat sich ein ziemlich geschlossener Bestand erhalten, der über das Bautzener Domstift als politische Größe, als kirchliche Behörde und Grundherrschaft sowie über die ökonomischen Grundlagen und Verhältnisse der Gemarkung mit ihren 20 Dörfern Auskunft gibt.

Dr. Annett Bresan (Kulturarchiv Bautzen) wählte den rund 200 Jahre alten Lebensbericht des sorbischen Heidebauern Hanso Nepila aus Rohne im Schleifer Kirchspiel als Aufhänger, um das Sorbische Kulturarchiv Bautzen und dessen Archivalien als Quellen der sorbischen Geschichte vorzustellen. Den Grundstock für diese Einrichtung bildete das Sammelgut sorbischen Schrifttums aus dem Besitz der wissenschaftlich-kulturellen Gesellschaft "Maćica Serbska", das 1904 im "Wendischen Haus" am Lauengraben ein Domizil fand. 1953 gelangten die von den Nationalsozialisten 1941 konfiszierten Bestände an das Institut für sorbische Volksforschung, das die institutionelle Nachfolge der "Maćicia Serbska" angetreten hatte und sich um den Aufbau eines sorbischen Zentralarchivs bemühte.  Ungeachtet mancher Verluste, darunter die nach 1945 zunächst zugewiesenen Akten der "Wendenabteilung" (heute im Staatsfilialarchiv Bautzen), ist das Sorbische Kulturarchiv nunmehr die zentrale Sammelstelle für alle die sorbische Geschichte betreffenden Archivalien und Dokumentationszentrum für das kulturelle Leben der Sorben.

Dass die Teilung der Oberlausitz 1815 nicht nur eine tiefe politische Zäsur war, sondern auch die Archivlage und kommunale Überlieferung des Landes nachhaltig beeinflusste, legte Siegfried Hoche (Ratsarchiv Görlitz) in seinem Beitrag dar. Der Eigentumswechsel der an Preußen gefallenen Gebiete zog eine Sondierung der Archive nach sich, um dem Rechtsnachfolger das benötigte behördliche Schriftgut auszuhändigen, wie es im Friedenstraktat vorgesehen war.  Die Übergabe zog sich Jahrzehnte hin und führte zu erheblichen Verlusten, ebenso wie später die Verwaltungsreform in Preußen. Veränderungen der behördlichen Strukturen und wechselnde Zuständigkeiten im Laufe des 19. Jh., beispielsweise die Eingliederung der Landkreise Görlitz, Rothenburg und Lauban in den niederschlesischen Regierungsbezirk Liegnitz oder die Gründung des kgl. Oberlandesgerichts für die Ober- und Niederlausitz in Glogau, schlugen sich in der Archivierung nieder, die pragmatisch nach aktuellem Nutzen erfolgte.

Thematisch knüpfte hier Dorota Sokołowska (Staatsarchiv Wrocław) mit ihrem Bericht über Ober- und Niederlausitzer Archivalien im Staatsarchiv Wrocław an, das heute zu größten Sammlungen dieser Art in Polen zählt. Zu den erhalten gebliebenen Altbeständen gehören Archivalien aus der preußischen Oberlausitz, die zwischen 1815 und 1945 nach Breslau gelangten. Trotz erheblicher Verluste im 2. Weltkrieg, der die Akteneinheiten zum Markgraftum Oberlausitz großteils vernichtete, gibt es umfangreichere Bestände u. a. zur Stadt Lauban und dem Magdalenerinnenkloster, zu den Standesherrschaften Hoyerswerda und Muskau, zum Sechsstädtebund, Bohemia sowie im Landständischen Archiv der Oberlausitz.

Dr. Lenka Matušíková (Nationalarchiv Prag), deren Vortrag stellvertretend von Jan Zdichynec (Prag) gehalten wurde, bot einen genauen Überblick über die Bestände des Prager Nationalarchivs vom Mittelalter bis ins 19. Jh., soweit sie die beiden Lausitzen als böhmische Nebenländer betreffen. Neben Pergamenturkunden des 13. Jh. aus dem Archiv der böhmischen Krone und Dokumenten des Zittauer Johanniterordens  umfassen sie u. a. Unterlagen zu Privilegien, Landtags- und Lehensangelegenheiten, Amtsbücher und Akten sowie Schriftgut der Böhmischen Hofkanzlei bzw. der böhmischen Abteilung der Hofkammer vom 16. bis zum 18. Jh. Die vorgestellten Archivalien veranschaulichen eindrucksvoll die politische, religiöse und wirtschaftliche Verflechtung der Oberlausitz mit dem böhmischen Nachbarn, die nach dem Übergang an Kursachsen weiterhin bestand.

Mit dem ständischen Urkundenarchiv sowie der landständischen Verfassung des Markgraftums Niederlausitz beschäftigte sich Dr. Klaus Neitmann (Potsdam) vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Der heutige Urkundenbestand sei im frühen 17. Jh. geschaffen und bis heute im Wesentlichen erhalten geblieben. An der Spitze stehen Urkunden der Landesherren als Kurfürsten von Böhmen und Sachsen, darunter Bestätigungen oder Verleihungen von Privilegien. Die älteste erhaltene Urkunde von 1411 enthält das Versprechen Wenzels I., das Markgraftum Niederlausitz nicht von der Krone Böhmens zu trennen.  176 Urkunden aus dem Zeitraum 1370-1853 wurden in Form von Kurzregesten beschrieben. Dem Bestand sind außerdem Rechtsdokumente des 17. und 18. Jh. zugeordnet.

Dr. Peter Wiegand vom Hauptstaatsarchiv Dresden ging der Frage nach, inwiefern die Sonderstellung der Lausitzen in der Behördenüberlieferung Kursachsens greifbar wäre. Als nicht inkorporierte Länder besaßen die Ober- und Niederlausitz eine eigene ständische Verfassung und separate Landesbehörden. Versuche der kursächsischen Verwaltung, die Exemption der Lausitzen zu unterlaufen und deren Integration in die Erblande voranzutreiben, blieben anfangs erfolglos. Dass die administrative Autonomie freilich in der verwaltungstechnischen Praxis angezweifelt oder sogar ignoriert wurde, zeigen die Akten der Appellationsverfahren. Die Einbindung der Oberlausitz in den sächsischen Gesamtstaat 1821 und die damit verbundene Anpassung an die sächsische sowie die Verträge von 1831 und 1834, welche die Sonderverfassung der Oberlausitz aufhoben, wirkten sich auf das Archivwesen aus. Seither befinden sich Akten zur Geschichte der Oberlausitz in den Beständen fast aller staatlichen Institutionen Sachsens, was für den Zeitraum von 1635 bis ins frühe 19. Jh. nicht der Fall gewesen war.

Abschließend wagte Dr. Jürgen Rainer Wolf, Sächsisches Staatsarchiv Dresden, eine Vorausschau, wie sich die am 1. August 2008 in Kraft getretene Verwaltungsreform auf die Überlieferungsbildung in Sachsen künftig auswirken könnte. In seiner vorsichtigen Prognose berücksichtigte er Erfahrungen aus der Bestandsbildung durch Verwaltungs- und Strukturreformen seit 1945, wies aber gleichzeitig auf aktuelle Probleme und ungeklärte Fragen hin, die mit der Verlagerung der Verwaltungsbereiche von der Kreis- auf die kommunale Ebene verbunden sind. Da gegenwärtig das Gefüge der künftigen Kreis- und Kommunalarchive noch nicht festlägen, sei deren Nachhaltigkeit nicht gesichert. Angesichts des langen Zeitraums von 30 Jahren, innerhalb dessen die Bestands(um)bildungen erfolgen, müsse die Vorschau zwangsläufig vage bleiben.

Die einzelnen Tagungsbeiträge werden 2009 in einem vom Sächsischen Staatsarchiv herausgegeben Tagungsband erscheinen. 

Nochmals 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden sich bei schönem, aber kühlem Wetter am Sonntagmorgen am Bautzener Rathaus ein, um an der angebotenen Exkursion teilzunehmen. Die Interessenten hatten die Möglichkeit unter fachkundiger Führung die Ortenburg und den Stucksaal, die Häuser der Landstände auf der Schloßstraße  sowie den Neubau des Magazins für das Staatsfilialarchiv zu besichtigen.