Bericht zur Herbsttagung 2006 in Rothenburg/O.L. "Regionalentwicklung der Oberlausitz - Chancen und Perspektiven"

Wo steht die Oberlausitz in 20 Jahren und wie schaffen wir es, die Oberlausitz auch zukünftig zu einem lohnenswerten Lebensstandort zu machen war die Kernfrage der kürzlich stattgefundenen Konferenz "Regionalentwicklung der Oberlausitz - Chancen und Perspektiven", die gemeinsam von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, der Friedrich-Ebert-Stiftung mit freundlicher Unterstützung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern stattfand. Über 70 Personen waren gekommen, um sich mittels der Vorträge hochrangiger Referenten über die Zukunftsperspektiven der Oberlausitz zu informieren und diese gemeinsam zu diskutieren. Seitens der OLGdW war dabei sehr erfreulich, dass nicht nur Mitglieder an diesem Gedankenaustausch teilnehmen wollten, sondern auch viele Gäste die Tagung besuchten. Sie alle profitierten von den hervorragenden Rahmenbedingungen am Tagungsort, der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg/OL.  

Bereits am Freitagabend wurden die Teilnehmer durch Herrn Staatssekretär Dr. Jürgen Staupe, Sächsisches Staatsministerium des Innern eindrucksvoll auf das Thema eingestimmt. In seinem Einführungsreferat "Region und Globalisierung. Zielvorstellungen für die Oberlausitz" widmete er sich zuerst dem Umstand der Abwanderung durch den tiefgreifenden wirtschaftlichen Wandel der Jahre 1989/90. Lebten in der Oberlausitz im Jahr 1990 noch 750.000 Einwohner sind es heute nur noch 650.000, bis zum Jahr 2020 ist mit einem weiteren Rückgang bis auf 540.000 zu rechnen. Somit hätte die Oberlausitz in 30 Jahren knapp 30% ihrer Einwohnerschaft verloren. Besonders dramatisch schlägt sich dabei die wirtschaftlich bedingte Abwanderung junger, gut ausgebildeter Frauen nieder, die sich direkt auf die niedrige Geburtenrate auswirkt. Allerdings warnte er davor, diese sehr deutlichen Zahlen zu negativ zu bewerten, da es derartige Entwicklungen auch in anderen Regionen (Ost)Deutschlands gibt. Vielmehr gilt zu überlegen, wie mit dieser demographischen  Entwicklung in den nächsten Jahren umzugehen ist und welche Chancen und Perspektiven sich daraus ergeben. Zur besonderen Förderung der von der Abwanderung besonders stark betroffenen Gebiete stellte er Förderprogramme der Europäischen Union wie die Territoriale Agenda zur Stärkung bisher wenig entwickelter Räume und Regionen und insbesondere das Programm "Interreg III A" vor. Mit dem im ersten Förderzeitraum von 2000 bis 2006 abgelaufenen Programm konnte beispielsweise in der Oberlausitz das Projekt eines trinationalen Städtebundes zwischen Zittau (D), Bogatynia (PL), und Hradek n.N. (CZ), dem sogenannten "Kleinen Dreieck" gefördert werden. Weitere Mittel aus Interreg III A flossen in ein bilaterales Wohnraumkonzept oder auch in grenzüberschreitende Schulprojekte. Ziel der sich anschließenden Förderperiode von 2007 bis 2013 sind Projekte, die dazu beitragen, die sozioökonomische Situation und die Sprachkompetenz im grenznahen Raum zu verbessern sowie die Infrastruktur grenzüberschreitend auszubauen. Besonders aufmerksam machte er  auf den notwendigen kommunalen und regionalen Kooperationsbedarf als Antwort auf den zunehmenden Rückzug staatlicher Leistungen und die voranschreitende globale Konzentration. Im zweiten Teil seines Vortrages formulierte er Zielvorstellungen für die Entwicklung der Oberlausitz und benannte dafür drei inhaltliche Säulen, die dazu beitragen sollten, die positive Entwicklung voranzutreiben: Erstens die wirtschaftliche Entwicklung, die nach dem Einbruch Anfang der 1990er Jahre auf einem guten Weg ist und bereits beachtliche Erfolge vorweisen kann. Exemplarisch dafür benannte er die Profilierung der Oberlausitz als wichtiger Standort für die Zulieferindustrie im Automobilbau und die Erfolge im Tourismus. Zweite Säule ist die Entwicklung der Wissenschaft  in der Oberlausitz, die insbesondere mittels Kooperation der wissenschaftlichen Einrichtungen vorangetrieben werden sollte. Immerhin gibt es in der Euroregion Neiße 66.000 Studenten, die von 6.500 wissenschaftlichen Mitarbeitern ausgebildet werden. Als dritte wichtige Säule benannte er die gemeinsame Geschichte und Kultur der Oberlausitz mit den Nachbarn, auf die es sich zu besinnen gilt und die in Projekten zur "Via Sacra" und der "Via Regia" ihren Ausdruck findet. Gemeinsames Ziel aller Bestrebungen sollte sein, eine regionale Identität zu entwickeln und die sich bietende Chance der Zugehörigkeit der Oberlausitz zu einem sich dynamisch entwickelnden Wirtschaftsraum zu nutzen.

Am Samstag gliederte sich die Tagung in drei Themenkomplexe: Als erstes gab es den Komplex der "Bestandsaufnahme und Erkenntnisse", danach das Thema der "Regionalisierung und europäischen Zusammenarbeit" und abschließend widmete sich die Tagung den "Visionen - regionale Vorausschau". Daran anknüpfend diskutierten Referenten und Politiker in einer Podiumsdiskussion die Frage "Die  Oberlausitz im Jahr 2030. Schaffen wir die Trendwende?"

Als Referenten des ersten Komplexes der Bestandsaufnahme konnten Staatsekretär Christoph Habermann, Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, Dr. Peter Heinrich, Regionaler Planungsverband Oberlausitz - Niederschlesien, Andreas Schaaf, Oberzentraler Städteverbund Bautzen-Görlitz-Hoyerswerda, Wilfried Rosenberg, Bundesverband mittelständischer Wirtschaft, Regionalverband Oberlausitz und Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, Hochschule Zittau/Görlitz-Fachbereich Sozialwesen durch Prof. Geierhos, Präsident der OLGdW, begrüßt werden. Die Referenten waren sich darüber einig, dass die Situation in der Oberlausitz nach 1990 durchaus dramatisch war, sowohl bezüglich der wirtschaftlichen Situation als auch der Abwanderung mit allen sich daraus ergebenden Problemen, dass es die Oberlausitz aber in den letzten Jahren geschafft hat, die Trendwende zu erreichen und trotz aller bestehenden Probleme durchaus positiv in die Zukunft blicken sollte. Einen sehr positiven Auftakt für die Tagung setzte Staatssekretär Habermann, der die aktuellen und sehr positiven Daten zur wirtschaftlichen Situation Sachsens vorstellte. Dennoch geben alle positiven Zahlen keinen Grund für eine Entwarnung am Arbeitsmarkt. Oberste Priorität hat nach wie vor die Schaffung weiterer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze um die Weichen für die wirtschaftliche Entwicklung  auch nach dem Ende des Solidarpakts im Jahr 2018 auf grün zu stellen und Sachsen unabhängig von finanziellen Sondertransfers zu machen. Als grundlegende Einsichten benannte er die Bildung von Netzwerken und Clustern als qualitativer Standortfaktor, den Verbleib junger, gut ausgebildeter Menschen in der Region und die Entwicklung zukunftsfähiger Produkte um die knappen öffentlichen Mittel auf die größten Wachstumspotentiale konzentrieren zu können.

Konkrete Bespiele der positiven naturräumlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung der Oberlausitz boten die Referate von Peter Heinrich, Andreas Schaaf und Wilfried Rosenberg. Ein Projekt wie die Erschließung und Vermarktung des "Lausitzer Seenlandes" oder die Initiativen  "Die Lausitz rollt an", "Reisen ohne Handicap" oder auch "Motorradtouren Oberlausitz" haben insbesondere im touristischen Bereich bereits positive Akzente gesetzt. Wilfried Rosenberg formulierte drei Schwerpunkte für die wirtschaftliche Entwicklung der Oberlausitz: Erstens eine Strategie für die Oberlausitz zu haben! Die Starken und die Stärken stärken! Das Unternehmen Region Oberlausitz zu einer Marke machen! Zweitens die Oberlausitz als Mittelstandsregion stärken und herausstellen und drittens, den Mittelstand zu Kompetenz-Führer-Strategien befähigen, die Wertschöpfung zu erhöhen und Netzwerke zu schaffen. Er schätzte ein, dass der seit 1990 laufende wirtschaftliche Strukturwandel im Jahr 2004/2005 abgeschlossen werden konnte und es jetzt oberstes Ziel sei, eine selbsttragende nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Größte Reserven sah er dabei in der Forschung und Wissenschaft, ist doch die Oberlausitz im Vergleich zu anderen Wirtschaftszahlen beispielsweise bei der Patentanmeldung im Vergleich zu anderen Regionen relativ gering vertreten. Prof. Thiele, die sich zum Abschluss des ersten Tagungskomplexes der demographischen Entwicklung der Oberlausitz widmete appellierte daran, in der Entwicklung auch eine Chance zu sehen, da das zu erwartende höhere menschliche Alter und das mehr an Menschen der älteren Generation auch Potentiale und Chancen insbesondere für die Kultur biete.     

Im zweiten Tagungskomplex wurden konkrete Projekte und Formen der bilateralen und trilateralen Zusammenarbeit vorgestellt. Referenten waren Dr. Holger Knüpfer, Stadtverwaltung Zittau, der den trilateralen Städtebund Zittau - Bogatynia - Hradek n N. vorstellte, Dr. Francicek Adamcuk, Universität Wroclaw, Lehrstuhl für Regionalwirtschaft und Tourismus, der sich mit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von Niederschlesien und Sachsen beschäftigte und Mag. Phil. Niklas Markus Perzi, Leiter der Waldviertelakademie Niederösterreich, der das Beispiel des der Zusammenarbeit von Österreich und der Tschechischen Republik im Waldviertel vorstellte. Alle drei Referenten teilten die Überzeugung, dass ein einzelner kommunaler Standort im grenznahen Raum chancenlos ist und daher Kooperationen überlebenswichtig sind. Sie wiesen jedoch auch auf eine Vielzahl von Problemfeldern hin, die v.a. rechtlicher Natur sind. Ein Haupterfordernis wären Sonderfonds für grenzüberschreitende Städtebündnisse, die es in der gewünschten Form bislang nicht gibt. Ein Problem auf das alle drei Referenten aufmerksam machten ist, dass nationale Spannungen der Partner bis auf die regionale Ebene durchschlagen und die Zusammenarbeit deutlich erschweren.

Der dritte Themenkomplex der Visionen und der Regionalen Vorausschau begann mit dem Vortrag von Assoc. Prof. Dipl.-Ing. Dr. Holm Große, dem Geschäftsführer der Marketing-Gesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien mbH, über die Regionalentwicklung durch Kultur und Tourismus. Er stellte seine Aktivitäten auf den verschiedenen Foren vor und plädierte für die Vermarktung der Region als Einheit. Es folgte Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Gerstlberger, der die Stiftungsprofessur Innovationsmanagement und Mittelstandsforschung am Internationalen Hochschulinstitut in Zittau innehat. Sein Thema galt dem Regionalen Innovationssystem Oberlausitz, und er stellte die Frage: Quo vadis? Auch er stellte die Forderung nach einer starken Vernetzung der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen, auch kulturellen Einrichtungen der Oberlausitz auf, um Innovation voranzutreiben. Hier knüpfte Dr. Günter Clar vom Steinbeis-Europa-Zentrum Stuttgart an, indem er nicht nur ein Innovationssystem, sondern eine Innovationsstrategie einforderte. Sein Thema lautete entsprechend "Regionale Vorausschau - gemeinsam zu besseren Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft". Er konnte dabei sowohl seine eigenen Erfahrungen in der EU-Kommission wie die inzwischen veröffentlichten EU-Förderrichtlinien einbringen. Die Botschaft lautete auch hier: Die Region muss sich organisieren und die Kleinteiligkeit überwinden, vor allem im Denken. Prof. Dr. Ekkehard Binas von der Hochschule Zittau/Görlitz beleuchtete sehr sorgfältig die Schritte, die zu gehen sind, wenn wir uns auf den Weg machen, um, wie geplant, eine Modellsimulation von Entwicklungsprozessen im Problemfeld "Regionen" zu erarbeiten.

In die abschließende Podiumsdiskussion führte Univ.-Prof. Dr. Albert Löhr, der Rektor des Internationalen Hochschulinstituts Zittau, ein, indem er die aus den Vorträgen sich ergebenden Impulse aus Administration, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur für eine regionale Vorausschau zusammenführte und bewertete. Stefan Brangs, MdL (SPD) und Andreas Grapatin, MdL (CDU) waren dabei die Gesprächspartner von Dr. Clar und Wilfried Rosenberg. Sie kamen in der Summe zu einer verhalten optimistischen Bewertung der Situation der Oberlausitz und werteten gerade diese Konferenz als einen wichtigen Baustein auf dem Weg zu einer langfristig angelegten Zukunftsplanung.

Die traditionelle Exkursion am Sonntag, den 17. September, führte dieses Mal nach Nowogrodziec in Polen, das frühere Naumburg am Queis. Dort empfing Gemeindedirektor Józef Kata die Delegation, erzählte zuerst die Geschichte der Stadt und gab dann in der neu errichteten Schule einen Überblick über die künftige Stadtentwicklung, die von der Universität Wroclaw begleitet wird. Die ökonomische Basis für diese Entwicklung konnte anschließend in der Sonderwirtschaftszone besichtigt werden. Der junge Direktor der Druckerei Bauer, der hier die modernsten Druckmaschinen der Welt in seinen Hallen stehen hat, gab eine beeindruckende Führung über dieses Werk. Ein Mittagessen in Schloss Klitschków beendete die Konferenz.