Bericht zur Herbsttagung 2004 in Görlitz "Deutsch-polnische Beziehungen - Erfahrungen und Erwartungen"

Die Herbsttagung der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften vom 5. - 7. November 2004 in Görlitz (Johannes-Wüsten-Saal, Barockhaus Neißstraße) und Zgorzelec (Jakob-Böhme-Haus) stand ganz im Zeichen der deutsch-polnischen Beziehungen. Neben bereits gemachten Erfahrungen, wurden dabei - vor dem Hintergrund der neuen Dimension mit dem EU-Beitritt Polens - besonders auch gegenseitige Erwartungen betrachtet. Mit der Eröffnung der neuen Altstadtbrücke über die Neiße war die Europastadt Görlitz-Zgorzelec aktuell geeigneter Ort, die vielfältigen deutsch-polnischen Beziehungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Als Referenten standen namhafte Experten der deutsch-polnischen Beziehungen aus Deutschland und Polen zur Verfügung. Auch im Publikum mit mehr als 60 Tagungsteilnehmern waren beide Nationen vertreten.

Bereits in den Grußworten zur Eröffnung der Tagung am Freitagabend betonten der Görlitzer Oberbürgermeister Prof. Rolf Karbaum und Prof. Wolfgang Geierhos, Präsident der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften den gemeinsamen Weg, der gerade in Görlitz und Zgorzelec gegangen werden müsse. Prof. Rolf Karbaum, der auch Mitglied in der Gesellschaft ist, sagte: "Die deutsch-polnischen Beziehungen sind ein Thema, das mich besonders bewegt und umtreibt." "Die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften will ein Forum für die deutsch-polnischen Beziehungen sein und mit dieser Tagung sachliche Beiträge angesichts aktueller Irritationen bieten", sagte Prof. Wolfgang Geierhos zur Eröffnung. Am Sonnabend richtete auch der stellvertretende Bürgermeister von Zgorzelec Herr Zdzisław Gierwielaniec ein Grußwort an die Tagungsteilnehmer. Er beschrieb mit den Planungen für die "Neiße-Vorstadt" in Zgorzelec ein konkretes Beispiel der deutsch-polnischen Beziehungen der Europastadt und äußerte seine Freude über jede neue Initiative zur Verbesserung der Verbindungen.

Im seinem eröffnenden Vortrag am Freitagabend stellte Dr. Krysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy Brandt Zentrums der Universität Wroclaw, die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen dar. Er leitete seinen Vortrag mit der provokativen Frage ein, ob es eine natürliche Feindschaft zwischen Deutschen und Polen gebe. In seiner Bilanz der mehr als 1000-jährigen "Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen" stellte er anschließend dar, dass es immer wieder positive wie auch negative Höhepunkte des Zusammenlebens der beiden Völker gab. "Anlass zum Optimismus gibt das gemeinsame Erbe", sagte Dr. Krysztof Ruchniewicz. Beispielsweise verehren Deutsche und Polen die Heilige Hedwig und auch den Wissenschaftler Kopernikus. "Mit den 1990er Jahren wurde in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen", so Dr. Krysztof Ruchniewicz, "ein neues Kapitel aufgeschlagen. Sie weiteten sich auf alle Lebensbereiche aus und verließen auch offizielle Wege." Mit Blick auf die Zukunft sagte Dr. Krysztof Ruchniewicz jedoch auch, dass trotz aller positiven Entwicklungen die guten Beziehungen noch nicht dauerhaft seien und man nicht in eine Routine verfallen dürfe. Aktuelle Themen wie die EU-Verfassung, der Irak-Krieg, die Verwicklungen um die Preußische Treuhand und viele Wählerstimmen für rechtsextreme Parteien in Deutschland würden sie nach wie vor auf die Probe und vor viele weitere gemeinsame Aufgaben stellen.

Der Sonnabend der Herbsttagung begann mit einem Vortrag von Dr. Robert Maier vom Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung Braunschweig. Sein Schwerpunkt lag auf der Erläuterung der Arbeit der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission, die das älteste Forum des deutsch-polnischen Dialogs seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist. "Die internationale Schulbucharbeit beruht bis heute auf Freiwilligkeit und darf nicht im Gegensatz zu Forschung und Lehre stehen", sagte Dr. Robert Maier. Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission könne deshalb nur Empfehlungen und Anleitungen herausgeben. Eine Erfolgsgeschichte in dieser Hinsicht ist das so genannte "Lehrerhandbuch", das für Deutschland und Polen existiert. Neben sachlichen Informationen bietet es Lehrern und Schülern Analysen und pädagogisch-didaktische Informationen und fördert damit ein neutrales Verständnis der Geschichte des jeweils anderen und der gemeinsamen politischen Beziehungen. Als zukünftige Aufgabengebiete der nach wie vor aktiven Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission beschrieb Dr. Robert Maier neben halbjährlich stattfindenden Konferenzen und darüber hinausgehenden Gesprächskreisen zum Thema vor allem feste Partnerschaften in der Lehrerfortbildung mittels Seminaren.

Die Referenten Prof. Walter Schmitz vom Mitteleuropa Zentrum der TU Dresden und Prof. Marek Zybura vom Willy Brandt Zentrum der Universität Wroclaw stellten Erkenntnisse und Gedanken zum "Bild der Polen in der deutschen Literatur" und zum "Bild der Deutschen in der polnischen Literatur" vor. Prof. Walter Schmitz zeichnete den Bogen der deutlich erkennbaren Wahrnehmung der Polen und ihrer Projektion in der deutschen Literatur ab etwa dem 18. Jahrhundert. Sie reichte von der "Wahrnehmung von Eigenheiten" über das "Exotentum der Polen als Indianer Europas" und "Agenten der Bedrohung" bis hin zum "verführerischen und faszinierenden Polen". Umgekehrt betrachten die Polen bis zum Zweiten Weltkrieg in ihrer Literatur an den Deutschen vor allem ihre bekannten Tugenden. "Mit dem Zweiten Weltkrieg gab es nur noch zwei Haltungen", stellte Prof. Marek Zybura fest. Einerseits betonte man, dass die alte deutsche Nation um Goethe nicht mehr existiere, andererseits verdammte man die "deutschen Barbaren" total. Bis heute würden die Gegensätze der beiden Völker herausgearbeitet, so Prof. Marek Zybura.

Die Nachmittagssitzung eröffnete Thorsten Möllenbeck mit seiner Betrachtung des Deutschlandbildes in der politischen Kommunikation Polens nach 1989. Er schätzte ein, "dass sich das Bild der Deutschen in Polen v.a. die letzten Jahre kontinuierlich verschlechtert hat". Die Hoffnungen, die auch die Polen mit der politischen Wende verbanden, "wurden im Laufe der 90er Jahre immer diffuser" und machten aus ihrer Sicht "die Gewinner und Verlierer der Globalisierung deutlich". Die Grenze zwischen beiden Ländern wird von den meisten Polen in erster Linie als Wohlstandsgrenze und nicht als verbindendes Element angesehen, trotzdem hofft man, den wirtschaftlichen Rückstand v.a. mit deutscher Hilfe aufzuholen, da Deutschland in Polen "als Synonym für den Westen und damit für den Wohlstand steht". Die aktuellen Entwicklungen und Entscheidungen des polnischen Parlaments aber auch des Europäischen Gerichtshofes in Straßburg "tragen dabei nicht immer zur Entspannung des Bildes der Deutschen in der politischen Kommunikation in Polen bei". Abschließend wünschte er sich "mehr Sensibilität durch die Deutschen an polnischen Befindlichkeiten".

Frau Malgorzata Szelachowska vom Ministerium für Wissenschaft und Information in Warschau stellte eine Reihe von gemeinsamen Forschungsvorhaben vor. Grundlage dieser Projekte ist ein am 10. November 1989 geschlossenes Regierungsabkommen zwischen der Regierung der BRD und der damaligen VR Polen, welches bis heute gültig ist. Gemeinsame Forschungsprojekte von deutschen und polnischen Instituten und Wissenschaftlern gibt es v.a. auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der Medizin, der Technik, der Weltraumforschung und der Landwirtschaft. Problematisch schätzte Frau Malgorzata Szelachowska das sehr niedrige Budget für Forschung und Wissenschaft in Polen bisher ein, welches unter einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes lag. Als einen ersten Erfolg auf dem Weg zur Verbesserung der Situation bezeichnete sie den deutlichen Anstieg von polnischen Studenten im letzten Jahr. Außerdem wurde eine "Vielzahl von polnischen Forschungsprojekten bei der EU beantragt und bereits genehmigt". Als Beispiele für die bilaterale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft nannte sie die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/O, den Akademischen Austauschdienst, die Koordinierungsstelle der Wissenschaftsorganisatoren in Brüssel und Bonn, das Deutsche Historische Institut in Warschau oder auch das 2000 eingeweihte Berliner Zentrum als Außenstelle der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Insbesondere das Jahr 2005 als offizielles "Deutsch-polnisches Begegnungsjahr" sollte weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit bieten.

Den Abschluss des Tages bildete eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "Erwartungen an die deutsch-polnische Nachbarschaft" mit Prof. Dr. Dieter Bingen, Direktor des Deutschen Polen-Institutes, Darmstadt und Dr. Kazimierz Wóycicki, Direktor des Polnischen Instituts in Leipzig. Sie griff bereits Gehörtes und zwischenzeitlich auch mit dem Publikum Diskutiertes wieder auf und gab vor allem Ausblick auf die Zukunft. Ihre Hauptergebnisse waren dabei, dass die deutsch-polnischen Beziehungen mehr Öffentlichkeit und mehr in die Zukunft gerichtete gemeinsame Projekte brauchen. In der Diskussion kamen sowohl Erfolgsgeschichten als auch Verstimmungen der Beziehungen zur Sprache. Gemeinsam war den Diskutierenden der Wunsch nach "ehrlicher und noch engerer Zusammenarbeit" der beiden Länder. "Dazu müssen auch mentale Grenzen überwunden werden. Wir sollten mit Blick in die Zukunft und nicht zu sehr in die Vergangenheit arbeiten", sagte Prof. Dr. Dieter Bingen. "Global denken und lokal agieren, ist das, was für das deutsch-polnische Verhältnis gelten muss", sagte Dr. Kazimierz Wóycicki.

Bei allen Referenten, in der Podiumsdiskussion und auch bei Anregungen aus dem Publikum wurde deutlich, dass die deutsch-polnischen Beziehungen gerade mit dem EU-Beitritt Polens eine neue Dimension bekommen haben und auf allen Ebenen vertieft werden sollten. Prof. Wolfgang Geierhos, Präsident der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, appellierte zum Schluss an Initiativen von Bevölkerung und Unternehmen zur weiteren positiven Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses und betonte, dass Polen die Brücke zu den osteuropäischen Nachbarn sei. Die Brücke zum polnischen Nachbarn will die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaft in Zukunft auch mit einer geplanten Zusammenarbeit mit der Polnischen Akademie der Wissenschaften schlagen.

Am Sonntag klang die Herbsttagung mit einer Exkursion nach Polen aus. Die Fahrt führte zunächst nach Radomierzyce zum dortigen Schloß, das, von einem englischen Konzern für Sicherheitstechnik erworben, sich zurzeit in der Rekonstruktion befindet und dann als Schulungszentrum genutzt werden soll. Herr Dr. Großer, der in diesen Gemäuern einen Teil seiner Kindheit verbracht hat, konnte die Erläuterungen des Reiseleiters durch ganz persönliche Erlebnisberichte ergänzen. Weiter ging es dann über Sulikow (Schönberg) und Luban (Lauban) nach Gryfow (Greiffenberg). In Greiffenberg wurde die sanierte Marienkirche besucht, um darin das prunkvolle Schaffgotschgrabmal zu besichtigen. Im Anschluss fuhren die Exkursionsteilnehmer zu den ehemaligen Greiffwerken, die sich zu damaliger Zeit in Deutschland und Europa einen Namen mit ihrer hochwertigen Berufsbekleidung gemacht hatten. Der Schriftsteller Arno Schmidt hatte in diesem Werk bis zum Kriegsbeginn kurze Zeit als "graphischer Lagerbuchhalter" gearbeitet. Das Haus am Rande der Stadt, in dem sich seine Wohnung befand, ist immer noch das Ziel zahlreicher deutscher Touristen, kann aber innen nicht besichtigt werden. Von Greiffenberg ging die Fahrt nach Nowogrodziec (Naumburg am Quais), wo das Geburtshaus von Joseph Schnabel von außen besichtigt wurde. Die Stadt als solche hat sehr unter Kriegseinwirkungen gelitten und dadurch fast nichts mehr von ihrem ursprünglichen Reiz erhalten können. Leider boten sich den Teilnehmern infolge des den ganzen Tag grau verhangenen Himmels keine besonders anziehenden Bilder von der eigentlich lieblichen Landschaft.