Bericht zur Herbsttagung 2005 in Zittau "Böhmen und die Oberlausitz - Forschungen zur gemeinsamen Geschichte"

Sachsen und Böhmen konnten ihre lang anhaltenden Spannungen im Vertrag von Eger 1459 aus der Welt schaffen. Seitdem hat die damals vereinbarte Grenze nahezu unverändert Bestand und zählt daher zu einer der ältesten Europas. Gerungen wurde zwischen beiden herrschaftlichen Mächten aus stets um die historische Region der Oberlausitz. Insbesondere Zittaus Geschichte wurde von diversen Wechsellagen heftig berührt. Die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften hätte somit keinen symbolträchtigeren Ort finden können, um auf ihrer gemeinsam mit dem Zittauer Geschichts- und Museumsverein sowie der Euroregion Neiße veranstalteten Herbsttagung dem Thema "Böhmen und die Oberlausitz - Forschungen zur gemeinsamen Geschichte" nachzugehen. Über 100 Mitglieder und Interessenten waren gekommen, um den Ausführungen eines illustren Kreises internationaler Wissenschaftler zu folgen. Der goldglänzende Ratssaal gab die prächtige Kulisse für die Veranstaltung, die Freitagabend durch zahlreiche Grußworte sowie mit einem Vortrag des Präsidenten Prof. Dr. Geierhos zum "geschichtlichen Erbe und politischer Zukunft" eröffnet wurde.

Der Sonnabend stand dann ganz im Zeichen der Fachvorträge. Einen historisch fundierten Überblick über den wechselvollen Verlauf im Mittelalter bot Frau Prof. Bobková von der Prager Karlsuniversität, ehe Dr. Gunter Oettel aus Görlitz ins Detail ging, und die Gründungsvorgänge der Stadt Zittau hinterfragte. Er stellte die These auf, dass Zittau nicht originär böhmisch war, sondern vielmehr von Beginn an zur historischen Oberlausitz gehörte. Erfreulich, dass sich zwischen der Gesellschaft und tschechischen und polnischen Wissenschaftlern eine kollegiale Zusammenarbeit entwickelt, so dass die Gefahr einer einäugigen deutschen Sichtweise auf die Probleme der Historiographie gebannt scheint.

Zahlreiche Beiträge kamen aus dem Schülerkreis von Frau Prof. Bobkova; Petr Hrachovec etwa stellte die Johanniterkommenden Hirschfelde und Zittau vor und wies auf die Neuartigkeit der Ordensstrukturen hin, die zur Versorgung nicht mehr primär auf eigenen Grundbesitz angewiesen waren, sondern denen Pfarrkirchen inkorporiert waren, die ihnen Einkünfte aus den Pfarrrechten bescherte. Zudem wurden ihre Hospitäler entlang der alten Verkehrswege angelegt, wodurch sie mit weiteren Spenden von Durchreisenden rechnen konnten. Hrachovec berichtete auch von neu entdeckten Urkunden zur Geschichte der Kommenden, was angesichts des vollständigen Verlustes des Hirschfelder Archivs hoffnungsvoll stimmt.

Daniel Fickenscher, Leipzig, beschritt den Weg in die Neuzeit, und widmete sich den Veränderungen unter der Habsburger Herrschaft, wobei sich für die Oberlausitz zunächst nicht viel änderte. Die Elemente eines beginnenden Staatswesens, wie die Rechnungskammer, befanden sich weiterhin in Prag. Zu einem eigenen Aufbau kam es in der Oberlausitz nicht. Aber die Kontakte zwischen Prag und Bautzen wurden intensiviert, wenngleich konstatiert werden musste, dass aus der Quellenarmut auf ein weitestgehend harmonisches Verhältnis zwischen Ständen und böhmischem König geschlossen werden kann.

Rudolf Andel, Liberec, versuchte den Mentalitäten während der Hussitenzeit nachzuspüren. Er führte aus, dass natürlich Böhmen für die katholische Orthodoxie ein Ketzerland war, und hinsichtlich der Oberlausitz befürchtet wurde, dass insbesondere die sorbische Bevölkerung aufgrund der sprachlichen und kulturellen Verwandtschaft zu den Tschechen für die hussitische Lehre anfällig sein könnte.

Milan Svoboda, gleichfalls Universität Liberec, widmete sich einer weiteren religiösen Besonderheit dieser sensiblen Grenzregion - den Exulanten - und befragte den Stand der tschechischen Exulantenforschung. Er musste konstatieren, dass dem Gegenstand noch längst nicht ein angemessenes Interesse entgegengebracht würde, wenngleich sehr interessante Arbeiten vorliegen, wie zur Frage der zeitgenössischen Wahrnehmung und Definierung der Begriffe Exil, Exulant, Emigrant. Es zeigte sich, dass die Zeitgenossen durchaus differenziert reflektierten, und mit den Exulanten "diejenigen, die im Elend herumziehen" verbanden. Auch der nächste Referent kam aus Liberec.

Frau Miloslava Melanova zeigte, dass mit dem wirtschaftlichen Aufschwung im beginnenden 19. Jahrhundert eine neue Qualität in die böhmischoberlausitzischen Beziehungen kam. Der Eisenbahnbau erleichterte den Austausch ganz erheblich. Es waren vor allem die Gewerbe- und Industrievereine, die gemeinsame Veranstaltungen organisierten, die aber gemahnt werden mussten, es bei unpolitischen Aktivitäten zu belassen. Zunehmend Nationalisierungstendenzen führten zur Ausgrenzung der Tschechen, bzw. zur Gründung so genannter Schutzvereine. Bleibende Zeugnisse sind auch das reiche Kartenmaterial, das von den Automobilvereinen des frühen 20. Jahrhunderts gefördert wurde, oder die Errichtung der Bergbauden. Thematisch und chronologisch schlossen sich daran die Ausführungen der letzten Sektion an, die höchst sensible Themen aufgriff.

Uwe Lammel, Olbersdorf, analysierte die deutschen Befindlichkeiten in Zittau vor und zwischen den Weltkriegen. Zittau, das eine starke tschechische Kolonie hatte, befürchtete einen Einmarsch von Prager Truppen. Kurz vor Ausbruch des I. Weltkrieges bat der damalige Zittauer Oberbürgermeister Dr. Külz, dessen Wege später nach Dresden führten, die sächsische Regierung, über ihre Prager Gesandtschaft auf die tschechische Regierung einzuwirken. Dass die Ängste vor einer Annexion nicht ganz unbegründet waren, bewies der nächste Beitrag von Jan Zahradnik, Liberec-Dresden, der die immer wieder vorgebrachten Pläne zur Angliederung sorbischer Siedlungsgebiete sowie eben Zittaus an Böhmen erläuterte. Noch mit der Neuordnung der politischen Landkarte nach dem Ende des II. Weltkrieges gab es ernstzunehmende Versuche, Zittau der Tschechischen Republik anzugliedern. Unter diesen Bestrebungen hatte vor allem die sorbische Bevölkerung in der Oberlausitz zu leiden, die von deutscher Seite aufgrund ihrer Kontakte zu tschechischen Kreisen als Vaterlandsverräter angesehen wurde, wie Timo MEÅ KANK, Leipzig, der nun den Bogen bis in die jüngste Vergangenheit spannte, in seinem Vortrag erklärte. Vor diesen von nationalistischen Auseinandersetzungen geprägten Ereignissen war von Danny WEBER, Leipzig, ein Thema in den Mittelpunkt gerückt worden, dass den Weltruf der Oberlausitz begründet hatte - die Leinwandproduktion und der -handel. Bis zu den Napoleonischen Kriegen war Leinen aus der Oberlausitz Deutschlands Exportartikel Nr. 1, was heute zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.

Marius Winzeler, Görlitz, berichtete anhand zahlreicher Beispiele sehr anschaulich von den (bau-) künstlerischen Einflüssen Böhmens auf die Oberlausitz. Das ließ sich sowohl anhand der przmyslidischen Bauplastik als auch der luxemburgischen ikonographischen Programme nachweisen. Er schloss seine Ausführungen mit der These, dass die Oberlausitz aus kunsthistorischer Perspektive sich nicht nur böhmisch orientierte, sondern selbst böhmisch war.

Dr. Jakub Kostowski, Wroclaw, stellte die Franziskanerkirchen von Kamenz und Jauer vor, die vom böhmischen Flügel der franziskanischen Observanz erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts gegründet worden waren, und denen ganz spezifische Aufgaben in der Mobilisierung der Türkenabwehr zukam. Widerspruch forderte das anschließend vorgestellte Projekt Jakobsweg heraus, das einer Initiative der Hochschule Zittau/Görlitz und des Internationalen Begegnungszentrums St. Marienthal entspringt. Die Chancen des Projektes, das einen Pilgerweg auf historischen Pfaden von Görlitz nach Prag einrichten will, wurden aufgrund seiner geringen historischen Glaubwürdigkeit kontrovers diskutiert. Dennoch zeigte gerade die abschließende Diskussionsrunde den fruchtbaren Dialog an, den die Tagung angestoßen hat. So war der Bogen vom Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit geschlagen. Indem die Gesellschaft dieses Thema aufgegriffen hat, hat sie eine verdienstvolle Arbeit geleistet, um zunächst die gemeinsame Vergangenheit auszuloten, auf deren Basis auch ein künftiges Miteinander bei europäischer Integration aufbauen kann.

Am darauf folgenden Tag fuhren 37 Damen und Herren (Mitglieder und Gäste der Gesellschaft) mit dem gecharterten Busunternehmen "Hemtrans" zur Besichtigung der Ausgrabungen des ehemaligen  Franziskanerklosters in Cesky Dub. Dr. Thomas Edel, Direktor des Podjestedske Muzeum, führte durch die altehrwürdigen Gemäuer und informierte ausführlich und anschaulich über die Geschichte des Klosters und den Verlauf der Ausgrabungen. Danach führte Dr. Andel die Exkursionsteilnehmer durch die St. Jakobskirche in Letarovice. Das gemeinsame Mittagessen im Grand Hotel "Zlaty Lev" bildete den Abschluss des Programms.