Bericht zur Frühjahrstagung 2005 in Görlitz

von Grit Richter-Laugwitz; Annegret Oberndorfer

Am 22. und 23. April versammelten sich rund 50 Mitglieder der Gesellschaft und weitere Interessierte zur diesjährigen Frühjahrstagung, die wie immer im ehemals Anton’schen Haus, heute Sitz der "Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften" und des "Kulturhistorischen Museums", Neißstraße 30 in Görlitz stattfand. In Vertretung des kurzfristig verhinderten Rektors der Fachhochschule Zittau/Görlitz referierte der Prorektor Prof. Joachim Zielbauer am Freitagabend über "Die Hochschule Zittau/Görlitz im trinationalen Städtenetz der Wissenschaften". Ausgangspunkt für das Referat war die erst kürzlich abgeschlossene Kooperationsvereinbarung zwischen der Hochschule und der Gesellschaft, auf die der Präsident der Gesellschaft, Prof. Wolfgang Geierhos bei seiner Begrüßung besonders aufmerksam machte. Gegenstand der Ausführungen Prof. Zielbauers war neben ausführlichen Informationen zur Entwicklung der Fachhochschule selbst auch die Stellung der Bildungseinrichtung in der Region, vor allem im so genannten Städtenetz der Wissenschaft, und im Netz der Wirtschaft. Er stellte die Hochschule mit derzeit 4.000 Studierenden als wichtigen Impulsgeber für die Oberlausitz und die angrenzenden Regionen in Tschechien und Polen dar. Als in diesem Zusammenhang bedeutsam bezeichnete Prof. Zielbauer vor allem verschiedene Kooperationen, z. B. mit der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, der Görlitzer Kulturhauptstadtbewerbung und der Neisse-University. Als so genannter regionaler Leuchtturm sorge die Hochschule für stabile Arbeitsplätze und soziale Strukturen und könne damit auch überregionale Ausstrahlung haben. Prof. Zielbauer machte aber auch auf Probleme, wie künftigen Studien- und Fachkräftebewerbermangel auf Grund niedriger Geburtenrate und Abwanderung, aufmerksam. Der Samstagvormittag war den Kurzvorträgen der Mitglieder vorbehalten, die ihre Forschungen vorstellten. Auch wenn auf Grund der erfreulich vielen Vortragsangebote jedem Referenten nur sehr eingeschränkt Zeit zur Verfügung stand, bot sich den Anwesenden doch ein sehr gutes Bild von der breiten Forschungstätigkeit der Mitglieder der Gesellschaft. Den Anfang machte Prof. Karlheinz BLASCHKE, der den Anwesenden nahebrachte, dass es in der Oberlausitz nicht nur die Sechsstädte, sondern auch die für die Geschichtsschreibung zu beachtenden Städtlein und Marktflecken gab. Er verglich die 18 Städtlein, zu denen z. B. Reichenbach, Elstra oder auch Rothenburg zu rechnen waren, verfassungsrechtlich gesehen mit den heute kreisangehörigen Gemeinden, die Sechsstädte mit kreisfreien Gebietskörperschaften. Im Unterschied zu den Sechsstädten unterstanden die Städtlein den Standesherrschaften, dem Adel und den geistlichen Stiftern als Teil der in der Oberlausitz de facto regierenden Landstände. Ab dem 16. Jahrhundert entwickelten sich darüber hinaus so genannte Marktflecken, "weil die beschreibende Trennung zwischen Stadt und Städtlein nicht mehr ausreichte". Diese Marktflecken, für die Oberlausitz benannte Blaschke insgesamt 27, waren Ortschaften, "die über den Zustand eines Dorfes hinausragten" und u. a. im nördlichen Teil "Ersatzgebilde für nicht vorhandene Städtlein" waren. Entscheidender Unterschied zum Status eines Dorfes war der Besitz des Marktrechtes für diese Marktflecken. Dr. Andreas GAUGER beschäftigte sich in seinem Referat mit den geistigen Potenzialen der Oberlausitz in Vergangenheit und Gegenwart. Sehr deutlich arbeitete er heraus, dass die geistigen Vordenker immer auch "Querulanten" waren, "die mit den eigenen Leuten vor Ort nicht zurecht kamen" und sich auch deswegen vom Heimatland zumindest geographisch gesehen abwendeten. Entscheidend dafür war natürlich auch die bis heute fehlende universitäre Bildungsmöglichkeit in der Oberlausitz. Als personelle Vertreter benannte er u. a. Caspar Peucer, Jakob Böhme, Christian Weise, Ehrenfried Walter v. Tschirnhaus, Gotthold Ephraim Lessing oder auch Johann Gottlieb Fichte. Neben den Personen identifizierte er vier "Phänomene" die den Geist der Oberlausitz entscheidend mit geprägt haben: Die Ansiedlung der Sorben bzw. Wenden, die Herrnhuter Brüdergemeine, die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften und die so genannte Gralsbewegung. Als zukünftige Aufgaben für die Weiterentwicklung des geistigen Potenzials sah er die Bündelung der bereits vorhandenen Potenziale mittels einer Universitätsgründung in der Oberlausitz, der Gegenwirkung des "gegenwärtigen Geistes, abgestellt auf die rein ökonomische Entwicklung", sowie die Schaffung eines stärkeren Selbstbewusstseins, das an Stelle eines aus seiner Sicht vorherrschenden Fremdbewusstseins treten sollte. Dr. Wolfgang WESSIG zeichnete anschließend ein tiefgründiges Porträt des Görlitzer Kulturzionisten Friedrich Andreas (Ascher) Meyer. Er charakterisierte ihn als einen in Geschichte, Philosophie und Juristerei gebildeten Mann, der eine geistig-kulturelle Erneuerung des Judentums anstrebte. "Wissen, Kunst, Politik und Religion sollten sich in seiner Welt zu einem Ganzen vereinen", sagte Dr. Wessig. Friedrich Andreas Meyer fühlte sich aber hauptsächlich als Poet und schrieb vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 170 Gedichte. Mit seiner Auswanderung nach Palästina äußerte er sich nur noch aus moralphilosophischer Sicht. Seine politischen und moralisch-ethischen Einstellungen stellte er in seinem Werk "Confessio" dar. Als sein Vermächtnis, mit dem Dr. Wolfgang Wessig seinen Vortrag schloss, gilt die Aussage, dass der Geist einer Kultur untergehe, sobald die Inspirationen und Intentionen einer Kultur untergehen. Matthias WENZEL lieferte vor der Kaffeepause einen Arbeitsbericht aus der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften, die in 60 Regalmetern auch das Archiv der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften enthält. Seit mehreren Jahren werden die Schätze der Bibliothek in einem elektronischen Katalog erschlossen. Derzeit enthält er 3.500 Stichwörter, unter denen man am Computer in der Bibliothek recherchieren kann. Ab Mitte Mai wird diese Recherche auch über das Internet möglich sein. Matthias Wenzel äußerte die Hoffnung und die Bitte, dass innerhalb der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften eine Lösung für die weitere Erschließung der Bibliothek gefunden würde. Aus jetziger Sicht kann die Erschließung wegen finanzieller und personeller Probleme nur bis Oktober 2005 fortgesetzt werden. Renate SPRINGER aus Köln stellte im zweiten Teil des Vormittags den Oberlausitzer Alfred Moschkau (1848-1912) als führenden deutschen Philatelisten seiner Zeit vor. Er sammelte schon als Kind Briefmarken und konnte bald eine 5.000 Stück umfassende Generalsammlung, die alle damals erschienenen Briefmarken aus allen Ländern enthielt, sein eigen nennen. Im Jahr 1871 veranstaltete er in Dresden die erste öffentliche Briefmarkenausstellung. Als Redakteur beim "Briefmarken-Journal" in Leipzig, Mitbegründer des Vereins Deutscher Philatelisten in Dresden und maßgeblich Beteiligter an großen Briefmarkenausstellungen in Wien Ende des 19. Jahrhunderts war er einer der Väter der historischen und systematischen Philatelie. "Er hat die Philatelie populär gemacht; einige behaupten sogar, er hat sie zur Wissenschaft erhoben", schätzte Renate Springer abschließend die Bedeutung Alfred Moschkaus ein. Das Forschungsgebiet von Günter RAUTENSTRAUCH aus Weimar sind unter anderem die gymnasialen Gedenkreden aus Zittau. Er stellte sie in seinem Vortrag als wichtiges Medium der Vergangenheit und als Mittel der "Erinnerungskultur" dar. Günter Rautenstrauch erläuterte dabei vor allem ihren Quellenwert für die Gesellschafts- und die Bildungsgeschichte der Oberlausitz. Er machte auf die Themenvielfalt der Reden ebenso aufmerksam wie auf ihren Sprachstil, der in der Tradition antiker Rhetorik steht. Hinter Inhalt und Sprache erschloss er dabei Informationen und Zusammenhänge, die sich beispielsweise aus den Adressaten der Rede, über den gymnasialen Unterricht, aber auch über die Beziehungen zwischen der Schule und der Stadt und ihren Bürgern ableiten ließen. Dr. Helge PAULIG aus Dresden referierte vor der Mittagspause über die "Auswirkungen aktueller demografischer Prozesse auf das Schulwesen der Oberlausitz". Mit Hilfe zahlreicher Grafiken wagte er einen Ausblick auf die schulische Entwicklung in Sachsen und der Oberlausitz bis zum Jahr 2020. Zwei Faktoren sind demnach dafür verantwortlich, dass in den nächsten Jahren in Sachsen 100 Schulen, vor allem Mittelschulen, geschlossen werden sollen: der generelle Geburtenrückgang, dessen Tiefpunkt im Jahr 1994 erreicht war, und die Abwanderung junger, hoch ausgebildeter Frauen. Beides führte dazu, dass sich die Schülerzahl bereits zwischen 1993 und 2003 halbierte. Als weitere Problematik stellte Dr. Helge Paulig die relative Zunahme bei Förderschülern dar. Er stellte fest, dass sich die Schullandschaft in den kommenden Jahren in Sachsen und der Oberlausitz noch einmal entscheidend verändern wird. Nach der Mittagspause trat erstmals das "Junge Forum" der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften an die Öffentlichkeit. "Es bietet", sagte Moderator Danny Weber in einführenden Worten, "ein Podium für junge Wissenschaftler, die zur Oberlausitzer Landesgeschichte forschen". Nachwuchswissenschaftler können hier ihre Dissertationsvorhaben vorstellen und im Diskurs Anregungen für ihre Arbeit erhalten. Das "Junge Forum" soll auch bei künftigen Frühjahrstagungen der Gesellschaft ein fester Bestandteil des Programms sein. Den Anfang der Nachwuchswissenschaftler im "Jungen Forum" machte Richard NEMEC aus Prag. Das Thema seines Dissertationsvorhabens lautet "Kunsthistorische Betrachtungen zu den Residenzanlagen Karls IV. am Fallbeispiel der Burg- und Klosteranlage Oybin". Er möchte in seiner Arbeit die Funktion der Architektur als wichtigen Teil der Herrschermacht, als Träger von Botschaften und Visualisierung der Intentionen des Kaisers darstellen. Richard Nemec stellte fest, dass hinter den Residenzanlagen Karls IV. mehr als nur die optische ständige Präsenz des Landesherrn verborgen sei. Noch in den Vorarbeiten seiner Dissertation steckt Christian SPEER, der Stipendiat des Max-Planck-Instituts in Göttingen ist. Der Arbeitstitel seines Forschungsprojekts heißt "Görlitz und das Kloster Oybin. Mönchtum und Bürgertum in der Oberlausitz im Wandel vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit (15.-16. Jahrhundert)". Neben den politischen, sozialen und kirchlichen Strukturen im Görlitz vor der Reformation, möchte er sich mit den Cölestinern auf dem Oybin in dieser Zeit beschäftigen. Beides soll Ausgangspunkt für Erkenntnisse zum Wertewandel zum Beginn der Reformation in Görlitz und dem Verhältnis von Mönchtum und Bürgertum in dieser Zeit sein. Als Dritte im "Jungen Forum" trat Katja LINDENAU aus Dresden auf. Sie beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit dem Thema "Die Görlitzer Braubürger in der Frühen Neuzeit - Sozialgeschichte und Topographie". Der Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist, dass das Bier neben dem Tuchhandel in Görlitz Lebenselexier war. Mit Hilfe des Brauregisters von Scultetus aus dem Ratsarchiv begab sie sich auf die Spuren derer, die damals das Braurecht hatten und verortete sie in der Topografie des Stadtplanes. Katja Lindenau fand heraus, dass das Braurecht in Görlitz offenbar ein Personalrecht der Räte war. Eine schriftliche Festlegung dazu gibt es jedoch nicht; das Ergebnis musste durch die Lage der Brauhöfe erschlossen werden. Nach der sich an das erfolgreich verlaufende "Junge Forum" anschließenden Kaffeepause versammelten sich die anwesenden Mitglieder zur jährlichen Mitgliederversammlung. Höhepunkt dieses abschließenden Tagesordnungspunktes war die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an Prof. Dr. Karlheinz Blaschke aus Friedewald, der sein Wirken wie kaum ein anderer in den Dienst zur Erforschung der Geschichte der Oberlausitz eingebracht hat. In seinen Dankesworten brachte Prof. Blaschke zum Ausdruck, dass die Ehrung für ihn sehr plötzlich und eigentlich zu früh käme, hätte er doch erst zu seinem 80. Geburtstag in gut zwei Jahren diese wohlwollend akzeptiert, jetzt fühle er sich eigentlich noch zu jung dafür. Er versicherte, dass er auch in Zukunft seine ganze Kraft der Oberlausitz widmen würde, was er sogleich in der kommenden Woche mittels eines Gespräches beim Sächsischen Innenminister de Maiziére betreffend die Aufnahme der Oberlausitz in die sächsische Verfassung in die Tat umsetzen wolle. Am Sonntag, den 24.04.2005, pünktlich um 08:00 Uhr, starteten die Mitglieder und Gäste unserer Gesellschaft in einem Bus der Firma Teich zur Exkursion "Auf den Spuren von Carl August Schramm". Der Weg führte zunächst über Leuba, wo ein Schüler von Schramm die dortige Kirche errichtete. Eine erste Besichtigungsstation war die Kirche zu Dittersbach a. d. E., ein 1870 nach Plänen von Schramm errichtetes Gotteshaus, wobei die Zuschreibung als nicht sicher gilt. Mit den Kirchen in Dittelsdorf und Schlegel konnten frühe Arbeiten des Architekten und Baubeamten in Augenschein genommen werden. In beiden Fällen hatte der ortsansässige Pfarrer die Türen für die Exkursionsteilnehmer geöffnet. In Zittau stand zunächst ein Stadtrundgang auf dem Programm, vorbei an der Baugewerkeschule, dem Wäntighaus und der Johanniskirche. Höhepunkt der Exkursion war in Zittau der Besuch des Bürgersaales im Rathaus. Die Führung im Rathaus übernahm Herr Pietschmann von der Zittauer Stadtinformation. Die Exkursion führte weiter nach Leutersdorf, zunächst zur evangelischen Kirche, ein raummächtiger Bau aus den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu diesem Rundbogenstilbau präsentiert sich die katholische Kirche in Neu-Leutersdorf in gotischen Formen. An beiden Bauten, die fast zeitgleich errichtet wurden, lassen sich deutlich Spuren des Spätwerkes von Schramm ablesen. In Kottmarsdorf konnten die Exkursionsteilnehmer noch den 1854 fertig gestellten Turm der dortigen Pfarrkirche in Augenschein nehmen. Die Exkursion schloss mit einer Außenbesichtigung der Bürgerschule in Löbau, die auf ihre Weise die Vielfalt des Werkes von Carl August Schramm noch einmal unterstrich.